Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
Ich-laufe-eine-imaginäre-Treppe-herunter-Trick sehen.«
»Zeig’s mir!«
Moritz hebt die Kamera und knipst ein Bild nach dem anderen von meinem Profil, während ich mit jedem Schritt ein Stückchen weiterschrumpfe.
»Nicht schlecht, Anna. Schade, dass du schon mal Frau des Monats warst!«
»Apropos!«, rapple ich mich wieder von meinen Knien hoch, »dann wollen wir mal anfangen zu arbeiten!« Ich setze mich neben Moritz auf den Schaufenstersims und krame das Diktiergerät aus meiner Handtasche. Stumm wandern unsere Blicke über die vorbeiziehenden Menschen. Die meisten jagen vom Hauptbahnhof kommend am Dom vorbei in die Fußgängerzone. Durchkreuzt wird ihr Weg nur von Ansammlungen von Schulklassen mit einemLehrer vorneweg oder kleineren Touristengruppen mittleren Alters aus dem In- und Umland, die mit dem Kopf im Nacken auf den Eingang des Doms zusteuern. Alles nicht das, was wir brauchen, denke ich mir, den Kopf in der Handfläche abgestützt.
»Die dort drüben gefällt mir!«, ruft Moritz.
»Welche?«, frage ich und hoffe, dass er nicht die dunkelhaarige, schlanke Frau mit den sinnlichen Lippen und den Rehaugen meint.
»Die Dunkelhaarige dort, mit den sinnlichen Lippen und den Rehaugen.«
Natürlich.
»Ach ja? Ich finde die Blonde, etwas Pummelige daneben viel charismatischer.«
Moritz grinst mich schief an.
»Was? Das ist mein Ernst!«
»Gut, Anna. Fragen wir sie eben beide!«
Wir springen vom Schaufenstersims auf und laufen auf die beiden Damen zu, bevor die Menschenmenge in der Einkaufsstraße sie verschluckt.
»Entschuldigung, darf ich Sie kurz stören? Mein Kollege und ich arbeiten für das Magazin The Men of Modern Art , und wir sind auf der Suche nach einer Traumfrau für jeden Mann. Warum sind Sie eine umwerfende Frau für die Männerwelt?«
Jessika T., 32 Jahre, Trainerin in einem Fitnessstudio
» Ich bin ein Traum für die Männerwelt, weil ich mein eigenes Geld verdiene, sexuell offen bin und mein Partner alle Freiheiten genießt.«
Moritz zieht hinter der Kamera eine Schluppe. Das war sie also noch nicht, die Frau, die Männer wollen.
Nora M., 29 Jahre, Kindergärtnerin
» Ich kann mich unterordnen unter die Wünsche eines Mannes. Und meistens will ich genau das, was mein Partner will. Das ist toll! Wenn er glücklich ist, bin ich es auch.«
Wieder geht mein Blick zu Moritz, der, während die Worte zu ihm dringen, die Kamera sinken lässt, so dass das letzte Bild sicherlich ein Schuss von den Füßen einiger Passanten auf dem Asphalt geworden ist.
Roswitha, 55 Jahre, Boutiquebesitzerin
» Hm. Warum ich ein Traum für einen Mann bin? Na ja, weil ich sie einfach liebe. In meinem Herzen hat jedet Schuckelsche sein Platz!«
Moritz reißt die Augen auf und lächelt der Dame verunsichert zu. Die Suche geht weiter.
Angela, 37 Jahre, freie Künstlerin
» Ich widerspreche. Das ärgert Männer, aber eigentlich stehen sie alle drauf!«
Moritz schießt auffällig viele Fotos von Angela.
Sabine, 29 Jahre, Assistenzärztin
» Oh. Ich bin an einer langen Beziehung interessiert. Am Heiraten. Und daran, Kinder zu bekommen. Und das alles schon mit dreißig! Haha. Ich bin ganz sicher kein Männertraum.«
Ich lächle und halte das Diktiergerät weiter in Sabines Richtung, obwohl meine Gedanken nicht mehr bei ihr sind. Kurz überfällt micheine Hitzewelle bei dem Wort Heiraten . Obwohl ich es nicht will, sehen meine Augen hinauf zu Moritz. Er blickt mich an. Ernst? Krampfig? Sanft? Entschuldigend? Zu lange für einen flüchtigen Blick. Zu kurz für eine Interpretation.
»Okay, danke, Sabine«, wendet sich Moritz der Frau zu und nickt zum Abschied. Dann schraubt er das Objektiv von seiner Kamera, öffnet die Tasche, die über seiner Schulter hängt, verstaut das Objektiv darin und zieht ein anderes hervor. »Vielleicht machen wir erst mal ’ne Pause, Anna.«
Mein Blick klebt an Moritz. An jeder seiner Bewegungen. Moritz hingegen stellt ein paar Dinge an seiner Kamera ein. Er drückt ein paar Knöpfe, schiebt einen Deckel vor das neue Objektiv und schlingt das Band des Fotoapparats um das Gerät herum. Seine Bewegungen sind ruhig.
»Okay«, antworte ich schließlich und löse meinen Blick von Moritz, »machen wir eine Pause, und sehen wir, was wir bis jetzt haben.«
Moritz sieht mich immer noch nicht an. Stattdessen fummelt er an irgendetwas an seiner Fototasche herum.
Gut.
Wir reden nicht drüber.
Ich verschränke die Arme vor der Brust und ärgere mich über mich selbst – und auch
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