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Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)

Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)

Titel: Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Krzywik-Groß , Torsten Exter , Stefan Holzhauer , Henning Mützlitz , Christian Lange , Stefan Schweikert , Judith C. Vogt , André Wiesler , Ann-Kathrin Karschnick , Eevie Demirtel , Marcus Rauchfuß , Christian Vogt
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jammerte wieder. Höher in der Stimmenlage, fast ängstlich. Josephine entgegnete etwas. Unverständliche, gepresste Worte. Zu leise, um sie verstehen zu können. Sie erhob sich. Obwohl es sie nichts anging, was Josephine in ihrem Keller untergebracht hatte, schlich sie auf Zehenspitzen näher an die geheimnisvolle Öffnung im Boden. Sie beugte sich vor und spähte hinab. Es war kaum etwas zu sehen. Schmutziger, steiniger Boden. Einige Flecken am Fuße einer altersschwachen Stiege.
    Etwas klatschte dumpf. Ein Schatten zuckte über den Boden. Verschwand. Unterdrücktes Klagen. Josephine brummte eine Erwiderung, doch Li verstand nur ein Wort, das ihr die Kehle zuschnürte.
    „Ruhe.“
    Vorsichtig beugte sie sich weiter vor, balancierte am Rand der Luke. Eine Bewegung. Josephines Hand geriet in ihr Blickfeld. Die Finger hielten etwas umfasst. Am liebsten hätte sie geschrien und wäre auf der Stelle fortgelaufen. Der Knüppel sauste durch die Luft. Sie hörte sein Zischen, den Aufschlag. Ein tiefer, entsetzlicher Klang, den Fleisch und Knochen erzeugten. Ängstlich setzte sie einen Fuß auf die erste Treppenstufe. Zog den zweiten nach. Sie wollte es nicht sehen, nicht wissen, was im Keller vor sich ging. Worauf die gutmütige alte Josephine einschlug. Was da unten jämmerlich stöhnte. Augenscheinlich unfähig, sich zu wehren. Ihr Geist war wie betäubt. Sie spürte, wie sich Hitzewellen und angstgeborene Kälteschübe durch ihren Leib fraßen. Weiter hinunter. Einen Schritt, zwei. Die Treppe knarrte, wie um vor einem unerwünschten Eindringling zu warnen. Bebend gelangte sie unten an. Der Anblick war bizarr und grausam. Li schrie.

    Puppen. Sie waren überall. Auf dem Boden, in akkurat arrangierten Dreierreihen. In morschen Regalen an den Wänden, getürmt bis zur Decke. Feine, handbemalte, liebevoll ausstaffierte Puppen. Hunderte, mit toten Augen, die sie anstarrten. Nur eine saß abseits, in einer staubigen Ecke des Kellers. Es war ein Junge mit strubbligen Haaren. Wahrscheinlich ein Friese, überlegte sie und verstand, warum er den anderen, vor allem den Mädchen in ihren hübschen Kleidern, lieber nicht zu nahe kommen sollte. Den Mittelpunkt der absonderlichen Ansammlung bildete ein lebendes Exponat. Li stockte der Atem. Wimmernd wollte sie zurückweichen, die Treppe hochsteigen und das Grauen aus ihrem Blickfeld tilgen. Da saß ein Mann. Ein Greis, angekettet, mit einem lumpigen Knebel im Mund. Weit aufgerissene Augen blickten sie hilfesuchend an. Seine Hände begannen zu zittern, versuchten, sich nach ihr auszustrecken. Sein Anblick verriet furchtbaren Schmerz und Pein. Eingesperrt, die Hose schmutzig und verdreckt, Blessuren an den Armen, verkrustetes Blut am Schädel, das die wenigen grauen Haare bizarr verklebte. Er stöhnte, versuchte zu schreien. Winselte, flehte. Sie konnte seine Gedanken regelrecht in seinen Augen lesen. Geh nicht weg. Geh bloß nicht weg!
    Josephine sah sie böse an, die alten, gutmütigen Augen zu fiesen Schlitzen verengt. Sie hob den Stock, an dessen Ende eine bedrohlich rote Verfärbung das Holz getränkt hatte und deutete auf die Ecke mit dem Friesenjungen. Hinsetzen.

    Sie hockte auf dem kalten, staubigen Boden, die Beine fest an die Brust gezogen. Ängstlich, schluchzend, die Vision ihrer selbst in Ketten gelegt, verprügelt, schmutzig, gebrochen, vor Augen. Harrend auf einen jämmerlichen Tod. Eine Puppe unter vielen. Ein Sammlungsstück.
    Josephine brummte etwas, und sie klang kaum noch wie die etwas merkwürdige, aber bemitleidenswerte alte Dame, um die sich die Madame Sorgen gemacht hatte. Schlurfend begab sie sich zur Treppe, warf den Holzprügel achtlos beiseite und mühte sich langsam hinauf. Der Schock in Li wich einer Erkenntnis, die weit dunklerer Natur war. Ein unheilvolles Wissen, das den letzten, zarten Wall aus Hoffnung zerfraß. Sie wurde hier tatsächlich eingesperrt.
    Die Luke schlug zu. Nur eine Gaslaterne spendete müdes Licht, warf unheilschwangere Puppenschatten an die Wände. Riesengroße, aufgeblähte Schädel. Fast meinte sie, sie bewegten sich, schaukelten teilnahmslos hin und her, die Münder zu einem ewigen, lieblichen Lächeln verkrampft. Neben ihr ächzte es plötzlich. Der Mann, schoss es durch ihren aufgewühlten Geist, der einem Kollaps nahe war. Sie erhob sich, schlich zu ihm hinüber. Tränen standen in seinen Augen. Er atmete tief. Schnell löste sie den fleckigen, speichelgetränkten Knebel aus seinem Mund. Über ihnen irrte Josephine umher. Mit

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