Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)
Titel:
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt
rauchenden Schlünde Islands zufror, aber im Vergleich mit der Colonia, Paris oder gar Hamburg war Nordafrika wahrlich geradezu ein Garten Eden.
Der junge Mann erreichte die Kuppe des Hügels und hielt inne. Atmete ein und aus. „Mehr als viertausend Jahre Geschichte“, so dachte er, „blicken auf mich herab.“
Aus einem endlos erscheinenden grünen Teppich, gesprenkelt mit Myriaden von Blumenflecken in Gelb und Weiß – Löwenzahn und Margeriten – erhoben sich majestätisch und zeitlos die wohl beeindruckendsten Bauwerke, die von der Menschheit abseits des mystischen Turmes zu Babel je geschaffen worden war: die Pyramiden von Gizeh. Wie künstliche, symmetrische Berge ragten sie aus dem Wiesenmeer, das bevölkert war von kleinen, beweglichen Punkten, Schafen und Ziegen, reckten sich als Zeugnis der nahezu unbeschreiblichen Schaffenskunst der alten ægyptischen Dynastien in den Himmel, unglaublich in ihrer Größe, unwirklich in ihrer grünen Pracht. Der Zahn der Zeit hatte die Oberflächen der einst glatten Bauwerke angenagt: Während der Jahrhunderte war die oberste Schicht verschwunden, und der Sandstein hatte zusammen mit zuerst durch Wind, später durch Arbeiter herbeigetragener Erde einen vortrefflichen Nährboden für Pflanzen aller Art geboten. Die Pyramiden waren wie die Ebene rings um sie herum über und über mit Gras und Blumen bedeckt. Trotz des erhebenden Augenblicks musste Heinrich lachen, als ihm der Vergleich mit gigantischen Hügelgräbern durch den Kopf schoss; welche Kolosse mochten darin ruhen?
Keine, so wusste er. Denn längst hatte man die Grabstätten der Pharaonen geöffnet. Gefunden hatte man nichts; wie es aussah, waren Grabräuber schon vor Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, eingedrungen und hatten mitgenommen, was wertvoll war. Die in den Pyramiden vermuteten Mumien der alten Gottkönige waren nie entdeckt worden. Manch ein Gelehrter nahm sogar an, die Prunkbauten seien tatsächlich nur eine Ablenkung – und die wahren Gräber gut versteckt an anderen, geheimen Orten, geschützt durch Jahrtausende und längst vergessene okkulte Schriften. Die Ægypter waren eigensinnig, was ihr Erbe anging und zierten sich, fremdländischen Forschern Zugang zu den alten Kultstätten und Heiligtümern zu gewähren. Groß war die Angst, dass diese fremden Gelehrten entwenden würden, was die Grabräuber übrig gelassen hatten. Heinrich konnte sich glücklich schätzen, dass man ihm erlaubt hatte, an den antiken Örtlichkeiten zu forschen.
Zurückzuführen war dies wohl nicht auf seinen Charme oder seine Herkunft, sondern auf den pläsierlichen Umstand, dass er eher zufällig zugegen gewesen war, als ein verirrtes Nilkrokodil während eines gesellschaftlichen Abends in Kairo gesteigertes Interesse am Khediven Abbas Hilmi zeigte. Der Rheinländer hatte nicht lange gezaudert und sich dazwischen geworfen. Noch heute fragte er sich, was ihn zu dieser tolldreisten Tat getrieben hatte; dachte er daran und insbesondere an den weit aufgerissenen Rachen des garstigen Reptils, traten ihm nach wie vor Schweißperlen auf die Stirn. Jedenfalls hatte er das Tier vom König abgelenkt, sodass dieser das Hasenpanier ergreifen konnte, während der junge Mann aus der Colonia sich unheldenhaft zappelnd mühte, nicht als Krokodilkanapee herzuhalten. Doch gleich darauf waren zum Glück einige der Diener herbeigeeilt und bewahrten auch Heinrich davor, als Futter zu enden, indem sie die Echse höchst unzeremoniell und unter lautem Lamento erschossen. Nur gut, besonders für Heinrich, dass die Reptilien ihren Status als heilige Tiere bereits Jahrhunderte zuvor eingebüßt hatten.
Der Khedive zeigte sich über alle Maßen erkenntlich, hatte dem jungen Mann aus der Ferne voll des überschwänglichen Dankes im Rahmen eines privaten Abendessens Reichtümer, Pferde und sogar Frauen angeboten. Doch Heinrich Jonas lehnte all das ab. Nach seinen Wünschen befragt äußerte er jedoch, dass er nichts sehnlicher begehre, als die Hinterlassenschaften der großartigen, wenngleich lange vergangenen, ægyptischen Dynastien untersuchen zu dürfen. Die Rettung des Herrschers, zusammen mit planvoller Bauchpinselei und einem gerüttet Maß gezielt eingeschenkten Dattelweins, hatten zum gewünschten Erfolg geführt: Abbas Hilmi gewährte seinem Retter nicht nur Zugang zu den Grabstätten, die ansonsten von Fremden eifersüchtig abgeschottet wurden, sondern versicherte ihn zusätzlich der Unterstützung durch das Ægyptische Museum in
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