Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)
Titel:
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
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Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
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Christian Lange
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Stefan Schweikert
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Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt
vom ständigen „ Barra! Barra! “-Gebrüll des Kutschers, führte über die engen Gassen einiger Wohnviertel, vorbei an einem geradezu labyrinthischen Soq . Durch das Fenster konnte Heinrich zwischenzeitlich auch einen Blick auf die filigranen, stählernen Türme des Luftschiffhafens erhaschen. An diese stählernen Nadeln drängten sich Luftschiffe wie Motten ans Licht. Er erinnerte sich nicht gern an den Flug von der Colonia hierher, denn er war der Luftkrankheit anheimgefallen, und sah der Rückreise mit gemischten Gefühlen entgegen. Vielleicht würde er ein Schiff nehmen, selbst wenn diese Art zu reisen deutlich mehr Zeit in Anspruch nahm, aber er wusste, dass sein Körper die See- im Gegensatz zur Luftreise vertrug.
Das Aufkommen der Luftschifffahrt hatte merkwürdigerweise nicht dazu geführt, dass die Nutzung von Wasserfahrzeugen im Mittelmeer zurückging. Schiffe stellten nach wie vor eine günstige Möglichkeit des Reisens und des Warentransports dar. Wie lange dies noch so sein würde, war allerdings fraglich. Ganz in der Nähe baute man an Schienen, die das Mittel- und das Rote Meer eines Tages verbinden sollten und auf denen man mächtige Container transportieren wollte, gezogen von einer Art karbidgetriebener Zugwagen. Eine Meisterleistung der Ingenieurskunst, wenn das Unterfangen denn tatsächlich einmal fertiggestellt werden würde; erdacht und durchgeführt von Ernst von Eulenberg, einem Konstrukteur aus dem Königreich Hannover.
Das Ægyptische Museum in Kairo war ein sandfarbenes Bauwerk, das mit protzigen Verneigungen in Richtung der Vergangenheit des Landes nicht geizte, scheinbar aus Sandstein gemauert und mit prächtigen Säulen versehen, die ebenso wie die Wände vergleichsweise sparsam mit Hieroglyphen geschmückt waren. Dabei störte es augenscheinlich niemanden, dass es bisher allen Forschern verwehrt geblieben war, jene alten Schriftzeichen zu entschlüsseln. Man hatte sie einfach kunstvoll, aber eigentlich wahllos als Schmuck angebracht, einen Sinn ergaben die Glyphen somit nicht. Dennoch musste es einem unbedarften Besucher auf den ersten Blick erscheinen, als habe er einen klassischen Tempel vor sich, einen Ort, an dem man zu den Göttern betete. Das mochte vielleicht sogar stimmen, dachte Heinrich, denn mit den vergangenen Gottheiten, die auch Könige gewesen waren, beschäftigte man sich an diesem Ort tatsächlich. Doch in Wahrheit huldigte man hier Forschung und Wissenschaft – in den Augen mancher, insbesondere der Erzpresbyter, Rabbis und Imame der Gegenwart, allerdings ebenfalls nur ein Götzenglaube, ebenso wie jener an die Technik.
Das Museum war ein Sinnbild Ægyptens, das sich auf der Suche nach seinem Selbst befand, seit es vom osmanischen Joch befreit worden war. Die Zeit der Hochkultur war seit Jahrtausenden vergangen, übrig blieben steinerne Erinnerungen und mahnende Bauwerke wie die Pyramiden, Abu Simbel oder die Sphinx, die den Einheimischen vergegenwärtigten, was hier früher geschaffen worden war – und dass heute nichts dergleichen mehr entstand. Ægypten war ein Land der Bauern und der Krume geworden. Es sicherte via Venezia die Versorgung der europäischen Länder mit Nahrungsmitteln, die in den frostigen nördlicheren Ländern nicht gediehen. Es herrschte eine Überfülle an Feldern, bepflanzt mit Weizen, Hirse oder Hafer. Besonders in der Nähe des Nils, der mit seinen regelmäßigen Überschwemmungen das Land fruchtbar erhielt, reihten sich Plantagen mit Bäumen, die unter der Last der Früchte, die sie trugen, zu ächzen schienen. Ein nicht geringer Teil dieser Schätze ging gen Europa, jedoch blieb noch genug übrig, dass die Einwohner des Landes nicht darben mussten. Im Gegenteil: Ægypten lebte in Hülle und Fülle – und seine Bewohner in nicht übermäßigem, aber bequemem Reichtum.
Das waren die Gedanken, die Heinrich durch den Kopf wieselten, als er das Museum betrat, bereit für seinen Besuch beim Herrn dieses Hauses: Khem Al Hadary, jenem Mann, den man auf dem Kontinent wohl als Kurator des Museums bezeichnen würde. Al Hadary war einer der wenigen Nordafrikaner, die eingeweihten Kreisen in Europa namentlich bekannt waren, denn er hatte unter anderem in London, Budapest und der Colonia studiert, und sich durch provokante Thesen einen Namen gemacht. Während die Gelehrten des Kontinents sich einig waren, dass die Schriften der Bibliothek von Alexandria einem verheerenden Brand zum Opfer gefallen sein mussten, vertrat er die Ansicht, es handle
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