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Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)

Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)

Titel: Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Krzywik-Groß , Torsten Exter , Stefan Holzhauer , Henning Mützlitz , Christian Lange , Stefan Schweikert , Judith C. Vogt , André Wiesler , Ann-Kathrin Karschnick , Eevie Demirtel , Marcus Rauchfuß , Christian Vogt
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sich dabei um eine Mär, eine gezielt verbreitete Legende. Tatsächlich habe man den Wissensschatz der Bibliothek irgendwo in Sicherheit gebracht, bevor die Gebäude erst den Flammen anheimfielen und Teile der Stadt dann im Meer versanken. Hernach sei der Ort, an dem die Schriften ruhten, allerdings in Vergessenheit geraten. Eine schöne These, so sinnierte Heinrich, wenngleich leider unbewiesen.
    Ein Bediensteter fing ihn beflissen ab, fragte nach seinem Begehr und führte ihn in den ersten Stock, wo sich augenscheinlich das Büro des Kurators befand. Der Mann bedeutete Heinrich knapp, sich auf einen der bereitgestellten Stühle im Gang zu setzen und verschwand dann hinter einer der Türen.
    Es mochten fünfzehn oder zwanzig Minuten vergangen sein, da erschien er erneut, diesmal aus einer anderen Pforte, und winkte den Besucher wortlos heran. „Merkwürdig, ob der Ægypter nicht sprechen kann?“, fragte sich der Rheinländer, verwarf diesen Gedanken jedoch als irrelevant und folgte dem Bediensteten in den angewiesenen Raum.

    Durch ein für dieses Land unerwartet großes Fenster drang viel Helligkeit ins Büro des Kurators, augenscheinlich schien der Mann Licht zu schätzen und hatte mit Hitze kein Problem. Neben Aktenordnern und Regalen mit Artefakten dominierte ein Schreibtisch von bemerkenswerten Ausmaßen, auf dem sich fein säuberlich, fast schon akribisch genau, Dokumente in Ablagen stapelten und einige Füllfederhalter sowie unbeschriebene Bögen Papier bei einem Tintenfass auf ihren Einsatz warteten, den Raum. Ebenfalls auf diesem Tisch fanden sich vier Kanopen, Gefäße, in denen die Eingeweide Einbalsamierter separat vom Leichnam beigesetzt worden waren und die sofort die Aufmerksamkeit des jungen Europäers erweckten. Heinrich erkannte auf den ersten Blick seiner staunend aufgerissenen Augen, dass sich diese Behälter, je einer für Magen, Leber, Lunge, und Gedärm, so wusste er, in für ihr Alter bemerkenswert gutem Zustand befanden.
    Der Mann aus der Colonia blickte von den Kanopen auf und musste feststellen, dass er geirrt hatte. Nicht der Schreibtisch dominierte den Raum, sondern die Person, die sich hinter diesem in Positur gestellt hatte. Khem Al Hadary war hochgewachsen, sicher über einen Meter neunzig groß, und auf eine unauffällige Art muskulös. Er hatte seinen Kopf mit der prominenten Hakennase, die ihn jedoch nicht unattraktiv erscheinen ließ, entgegen der Landesmode kahl rasiert. Um die kohlschwarzen Augen herum vermeinte Heinrich eine Andeutung von Kajal zu erkennen, wie ihn auch die Ægypter der Vorzeit verwendet hatten. Al Hadary trug einen hellbraunen Anzug mit Plastron, den der junge Forscher anhand von Schnitt und Verarbeitung als venezianisch erkannte. Die Mode der Venezier war in Europa und Nordafrika das Maß aller Dinge. Wer seine Eloquenz und Zivilisiertheit darstellen wollte, der erlaubte sich Bekleidung aus der Lagunenstadt, auch wenn diese dazu neigte, üble Löcher in die Geldbörse zu reißen. Er selbst war weit davon entfernt, sich ein solches Statussymbol leisten zu können und kam sich mit einem Mal in seinem eigentlich ebenfalls recht ansehnlichen Gewand ein wenig ärmlich vor.
    Al Hadarys Blick trug nicht dazu bei, sein Befinden zu verbessern, denn dieser wirkte wie der eines Falken, der soeben eine Maus erspäht hatte und in Bälde herabstoßen und zugreifen würde. Wortlos wies der Kurator auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch, der sich im Vergleich zu diesem geradezu zwergenhaft ausnahm. Heinrich kam der unausgesprochenen Aufforderung dankbar nickend nach und nahm Platz. Er hätte gern etwas gesagt, um vielleicht das Eis zu brechen, doch zum einen war es Gepflogenheit in diesem Land, dass der Gastgeber zuerst das Wort ergriff, und zum anderen sagte der Blick des Kurators eindeutig, dass sein Gast zu schweigen habe.
    Al Hadary ergriff eine der Kanopen, sie hatte die Gestalt eines Falken und enthielt somit mit großer Wahrscheinlichkeit den Magen eines Verstorbenen, und drehte sie einige Momente in den Händen. Dann hielt er sie Heinrich hin und fragte in fast akzentfreiem Deutsch: „Was glauben Sie, was das ist?“
    Der Forscher nahm das Gefäß mit dem gebührenden Respekt entgegen und begutachtete es von allen Seiten. „Aufgrund der Falkenform würde ich sagen, dass es sich um eine duamutef handelt, eine Kanope, die den Magen eines Toten aufnimmt.“
    Der Kurator kniff die Augen zusammen. Heinrich drehte und wendete den Behälter erneut, kratzte mit dem

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