Eis und Wasser, Wasser und Eis
daran liegen, dass …
Björn schüttelte den Kopf, um die Stimme zu vertreiben, und drückte die Kippe tief in den halb aufgegessenen Brei. Verrückt war er nicht. Nur ein wenig einsam. Seufzend schaute er sich in der Küche um. Er war sicher müde. Musste sich wohl einfach zusammenreißen, tief durchatmen und all die Vorteile aufzählen, so wie er es immer tat. Er hatte schließlich eine eigene Wohnung, zwar nur eine Ein-Zimmer-Wohnung mit Dusche und Kochnische auf der Rückseite von Karl-Eriks Villa in Solna, aber trotz allem eine eigene Wohnung mit Möbeln, die er von seinem eigenen Geld gekauft hatte. Und wie viele Neunzehnjährige in Schweden hatten schon eine eigene Wohnung? Fast keiner. Außerdem hatte er ein Sparbuch, das Birger verwaltete, und der Betrag darauf wuchs mit jedem Auftritt und jeder verkauften Platte. Bald, hatte Birger erst gestern erklärt, bald würde Björn über fünf Jahre lang studieren können, ohne ein Stipendium zu benötigen, und der hatte zur Antwort genickt und gesagt, wie schön, nein, das war mehr als schön. Das war fantastisch. Obwohl es doch eigentlich eine Art Lüge war, das wusste er schon, als er es sagte. Denn der Tag, an dem er wieder anfangen musste zu lernen, das war ein Tag der Niederlage, ein Tag, an dem er vor sich selbst und allen anderen zugab, dass er kein Popstar mehr war. Und was ist ein abgesetzter Popstar? Ein Ehemaliger. Und bald war er der jüngste Ehemalige der Welt. Denn es hatte schon angefangen, es ging bergab. Bis jetzt kaum spürbar, aber er wusste es. War sich vollkommen sicher. Sie würden nie wieder an der Spitze der Top Ten stehen. In einem Jahr würde es mit den Typhoons zu Ende sein. Vorbei. Nur noch eine Erinnerung.
Er wusste schon jetzt, wie zwiespältig er sich an diesem Tag fühlen würde. Nicht, weil er diesem Leben als Idol nachtrauerte. Ganz im Gegenteil. Er hatte es so satt. War es leid, dass die Leute ihn anstarrten. War es leid, dass eine Horde verrückter Teenagerbräute an ihm zog, zerrte und riss, genau wie er ihr Gekreische satthatte. War die kichernden kleinen Mädchen leid, die erröteten und aussahen, als würden sie gleich in Ohnmacht fallen, wenn sie ihn um ein Autogramm baten, und ebenso leid war er es, mit Mädchen zu schlafen, die hinterher nichts zu sagen hatten, Mädchen, die er nicht nur ausgesucht hatte, um Tommy zu ärgern, sondern auch, weil er von diesem Whisky und den Joints, die laut ungeschriebener Gesetze für Popidole nach jedem Konzert konsumiert werden mussten, ganz groggy war. Er war Fotografen leid, die ihm erklärten, wie er den Kopf halten und die Hände anwinkeln sollte. Er war den ganzen Mist von Herzen leid.
Andererseits hatte er Angst vor der Scham. Vielleicht würde sie ihn fertigmachen. Die Scham darüber, dass niemand mehr glotzte. Die Scham darüber, dass die Fotografen sich andere Motive suchten. Die Scham darüber, dass neue kleine Mädchen ihn ansehen würden, ohne ihn wiederzuerkennen, und die älteren Mädchen das Gesicht verzögen, wenn sie seinen Namen hörten. Björn Hallgren! Yesterday’s news. Die Scham darüber, dass kein Mädchen, nicht ein einziges vernünftiges Mädchen mit einem Ehemaligen zusammen sein wollte, der nicht einmal Abitur hatte. Ein Ehemaliger, der vielleicht sogar auf einer Abendschule landen würde mit lauter Bräuten, die in der Schulzeit ein Kind gekriegt hatten, und vereinzelten Idioten, die an Bildung als den Schlüssel zum Paradies glaubten. Na, besten Dank auch … wundervolle Aussichten!
Und dann diese Eva.
Björn schüttelte den Kopf und stand auf, griff nach seinem Teller und deckte ab. Sie würde natürlich verschwinden, wenn die Berühmtheit sich in Rauch auflöste, aber das war nun eigentlich nichts, worüber er traurig wäre. Manchmal bekam er fast Angst vor ihr, ohne jedoch richtig zu verstehen, warum …
Scheiße, wie war es nur dazu gekommen, dass sie glauben konnte, sie wäre mit ihm zusammen? Hatte er etwas gesagt oder getan, dass sie sich das einbilden konnte? Nein. Er hatte am Anfang ein paarmal mit ihr geschlafen, kurz nachdem die Typhoons auf der englischen Topliste gelandet waren, und seitdem klebte sie wie ein Pflaster an ihm. Holte ihn vom Bahnhof ab, wenn er mit dem Zug aus Stockholm kam, ohne ihm jemals zu verraten, woher sie wusste, dass er genau mit diesem Zug kam. Rief ihn in Hotels oder Pensionen weit oben in Norrland an und lachte nur, wenn er sie fragte, woher sie wusste, dass er dort war. Ganz zu schweigen von dem Tag im Februar,
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