Eis und Wasser, Wasser und Eis
als sie an seine Tür draußen in Solna klopfte, an einem ganz normalen, spielfreien Montagnachmittag einfach dort stand und ihn mit absolut leerem Gesichtsausdruck ansah, als er öffnete, um nur eine Sekunde später in ein breites Lächeln auszubrechen und ihm mit Glucksen in der Stimme zu erklären, dass sie ihn unbedingt besuchen musste, jetzt, wo sie sich zufällig sowieso gerade in Solna aufhielt. Sie musste für das Geschäft einkaufen, aber jetzt hatte sie ein paar Stunden Zeit. Ob sie hereinkommen dürfte?
Er hatte ein paar Monate gebraucht, um herauszufinden, woher sie ihre Informationen bekam. Von Karl-Eriks Sekretärin, die einmal im Monat eine Liste mit allen für die Typhoons geplanten Auftritten und Hotelbuchungen an Inez und Birger schickte, eine Liste, die dann am schwarzen Brett in der Küche hing, wo Susanne, die kleine Schwester, die nicht mehr so klein aussah, sie problemlos abschreiben und an Eva weitergeben konnte. Wenn Eva nicht selbst in Susannes Begleitung ab und zu in die Küche huschte und sich in aller Eile Orte und Telefonnummern notierte.
Gleichzeitig musste er sich eingestehen, dass er sie vielleicht auch ermuntert hatte. Ein wenig. Oder ihr zumindest nicht offen und ehrlich gesagt hatte, dass er nicht mehr so sehr an ihr interessiert war; er hatte sich damit begnügt, etwas von Bildjournal und Karl-Erik zu murmeln und dass er keine Freundin haben durfte, die öffentlich zu sehen war, und sie hatte zur Antwort nur gelacht und erwidert, das sei schon okay, solange sie wisse, was sie wisse, und das hatte ihn verstummen lassen. Was war das, was wusste sie? Aber statt nachzufragen, hatte er sie an sich gezogen und mit einem Kuss zum Schweigen gebracht und dann noch eine Nummer abgezogen, eine Nummer, bei der er sich heimlich rächte, indem er Eva wegfantasierte und stattdessen Caroline, die immer gleich magische Caroline seiner Träume, ihren Platz einnehmen ließ.
Er nahm den Wischlappen vom Wasserhahn und fuhr damit kurz über den Küchentisch, blieb dann stehen und schaute aus dem Fenster. Die Sonne schien, dennoch war es so still draußen, dass der knospende Garten fast wie ein Bild aussah. Nichts rührte sich. Kein Vogel flog vorbei. Kein Wind flüsterte in der Birke. Kein Schmetterling flatterte umher und suchte nach Blumen, die es noch nicht gab.
Er wusste nicht, woher das Kirchenlied kam. Es war einfach da.
»Morgen zwischen den Bergen«, sang er. »Hört, wie Bach und Fluss …«
Dann brach er ab, schmunzelte über sich selbst und hängte das Tuch zurück über den Hahn, bevor er tief Luft holte und weitersang.
» Plätschernd zwischen Felsen …«
Er lächelte beim Singen, musste über sich selbst und das Lieblingskirchenlied seiner Kindheit lächeln, über die Erinnerung, wie er sich als Achtjähriger gemeldet und erklärt hatte, dass er genau dieses Lied singen wollte, als die Lehrerin fragte, ob jemand ein Kirchenlied nach dem Morgengebet vorschlagen könnte. Nummer 521. Und die Lehrerin hatte leise geschmunzelt und genickt und sich dann gleich an die Orgel gesetzt.
Er sehnte sich zurück. Er wollte wieder ein magerer kleiner Junge sein, auch wenn er wusste, was das kostete, denn auch damals war nichts einfach und selbstverständlich gewesen. Trotzdem wollte er genau dorthin, zu Inez’ lächelnden Augen und zu Birgers beruhigendem Brummen, in diesen Klassenraum und zu diesem dünnen kleinen Kerl, dem es nie gelang zu verstehen, wie die anderen Jungen dachten … Dann fuhr er sich schnell mit der Hand über das Gesicht und blinzelte. Was bildete er sich eigentlich ein? Er verstand doch heute noch nicht, wie die anderen dachten. Weder Jungs noch Mädchen. Weder Inez noch Birger. Weder Eva noch Susanne. Ganz zu schweigen von Elsie. Die so verdammt unbegreiflich war. Denn wie ist ein Mensch wohl beschaffen, der vor seinem eigenen Kind davonläuft?
Sie war für ihn zerbrochen, seit sie aus London nach Hause gekommen waren. Alle seine kindlichen Träume von ihr waren zusammengefallen und geplatzt. Dass sie hier in seiner Nähe war, dass sie in diesem Haus herumlief, während der Mahlzeiten mit am Tisch saß, nur im Morgenmantel vom Dachboden zum Frühstück herunterlief, das hatte sie in seinen Augen schrumpfen lassen. Er war ihr doch vollkommen gleichgültig, das war ja sonnenklar, sie saß einfach nur am Küchentisch und lächelte ihr blasses Lächeln, ohne jemals etwas zu sagen. Fragte nie, wie es ihm ging oder was er machte. Kam nie in sein Zimmer, setzte sich nie an
Weitere Kostenlose Bücher