Eis und Wasser, Wasser und Eis
Sachen.«
»Das ist doch mein Hemd, oder?«
Sie warf einen lässigen Blick auf das Hemd, während sie sich über den Farbeimer beugte und die Rolle abstreifte.
»Das war deins. Aber du hast es ja weggeworfen, weil es am Kragen zerfranst ist.«
Sie konnte fast hören, wie es in seinem Kopf knarrte und knackte, wie er verschiedene fantasievolle Gründe suchte, warum sie gerade dieses Hemd von allen abgelegten Hemden, die unten im Keller lagen, nicht hätte nehmen dürfen, doch er sagte nichts. Ahnte wohl, dass sie jedes Argument, das er vorbrachte, an sich reißen und vernichten würde. Womit er auch recht hatte.
»Hm«, sagte er nur und wippte auf der Schwelle hin und her. Eine ganze Zeit lang blieb es still, eine so lange Zeit, dass Inez zwei ganze Streifen mit der Rolle malen konnte, vom Boden bis zur Decke. Dann räusperte sich Birger.
»Was gibt es zu essen?«
Inez hielt mitten im Streichen inne, stand plötzlich vollkommen reglos da und starrte auf die feuchte weiße Fläche, spürte, wie die Wut in ihr zu glühen begann. Was gibt es zu essen? Es war doch gerade einmal zwei Uhr nachmittags, er hatte vor nicht einmal zwei Stunden sein Mittagessen bekommen. Sie war, so schnell sie konnte, von der Schule nach Hause geradelt und hatte diesem Mann vor weniger als zwei Stunden Bauernfrühstück serviert mit Eiern und eigenhändig gezogener und eingelegter Roter Bete!
»Tja, das kommt ganz darauf an. Was hast du denn vor zu kochen?«
Die Antwort rutschte ihr einfach heraus, ohne dass sie zum Nachdenken kam. Sekunden später schrie es vor Begeisterung in ihr – Ja! Ja! Ja! – , aber sie war natürlich sorgsam darauf bedacht, ihr Gesicht ausdruckslos erscheinen zu lassen und ihn nicht direkt anzusehen.
»Ich?«
Er klang ehrlich überrascht. Als wäre er nie auf die Idee gekommen, dass er jemals gebeten werden könnte, Essen zu kochen. Sie machte sich ganz klein und strich zuunterst noch einmal drüber.
»Ja.«
»Soll ich Essen machen?«
»Ja, warum nicht? Ich streiche doch. Und nur wir beide sind zu Hause.«
»Aber ich kann doch nicht kochen …«
»Na, du kannst es dir sicher anlesen. Im Flurregal stehen mehrere Kochbücher.«
Jetzt drehte sie sich lächelnd zu ihm um, achtete aber gleichzeitig darauf, die Rolle vor sich zu halten. Das war eine Drohung. Wenn er sich ihr nähern sollte, würde sie sie heben, ihm dicht vors Gesicht halten, und wenn er nicht ganz weiß in der Visage werden wollte, dann …
Er verstand, was sie meinte, sie sah es seiner Miene an, und wurde sofort wütend, das sah sie ebenso deutlich. Aber gleichzeitig wusste sie, dass er nichts machen konnte. Höchstens krank werden. Sie war bereit, einen Fünfer darauf zu wetten, dass er es so machen würde, dass er binnen einer Stunde Fieber oder Halsschmerzen oder irgendwelche Magenkrämpfe bekommen würde. Aber darum würde sie sich nicht kümmern. Sollte er sich doch selbst um sein blödes Fieber, den dummen Hals oder Bauch kümmern. Wie sie es tat, wenn sie krank wurde.
»Du bist ja nicht ganz gescheit«, brummte Birger, drehte ihr den Rücken zu und ging zur Treppe.
Doch, genau das bin ich, dachte Inez. Gescheit, gescheiter, am gescheitesten. Aber sie sagte es nicht laut. Stattdessen beugte sie sich vor und rief ihm hinterher:
»Ich habe mir einen neuen Schreibtisch gekauft. Einen richtig schönen. Antik. Ich werde ihn nächste Woche abholen.«
Sie ließ ihre Stimme noch lauter ertönen und das Lächeln deutlich hören:
»Hast du gehört, Birger? Ich habe mir meinen neuen Schreibtisch tatsächlich in einem Antiquitätenladen gekauft!«
Der Jubel hatte sich gelegt. Jetzt war es still im Bus. Nur das Motorengeräusch war zu hören. Tommy und Eva unterhielten sich leise, mit so gedämpften Stimmen, dass man nichts verstehen konnte. Alle anderen schliefen oder saßen zumindest wie Susanne mit geschlossenen Augen da und dösten. Das war schön. So schön, dass sie gar nicht die Augen öffnen und sich umsehen wollte.
Peo schlief. Dessen war sie sich fast sicher. Er atmete, als schliefe er, und manchmal, wenn die Straße eine Kurve machte, konnte sie spüren, wie sein gesamter Körper der Busbewegung folgte und sich schwer gegen sie lehnte. Das gefiel ihr. Sie genoss es, einen warmen, ruhenden Menschen so dicht neben sich zu haben, in Reichweite seines Körpers zu sitzen. Während der letzten Monate war sie viermal von vier verschiedenen Jungs geküsst worden, aber keiner von ihnen war weich oder warm gewesen. Im Gegenteil. Sie
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