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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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Seufzen. Sie will nicht ins Raucherzimmer gehen. Sie will nicht dasitzen und sich unterhalten. Sie will in ihre Kabine gehen und unter die Bettdecke kriechen, sich daran erinnern, was passiert ist, und es dann vergessen. Aber John hat ihr die Tür geöffnet. Er hat sie wieder in Sicherheit gebracht. Und heute Morgen sah er so unglaublich geknickt aus, als sie nicht mit ihm frühstücken wollte …
    »Ja«, sagt sie. »Ja, klar.«
    Es ist leer am Treffpunkt und ebenso leer im Raucherzimmer. Nirgends ein Mensch zu sehen.
    »Wo sind alle?«, fragt Susanne, während sie sich die Jacke auszieht, sie auf den einen Sessel legt und sich in den anderen setzt. John zögert kurz, einen Moment lang sieht es aus, als wollte er sie bitten, sich umzusetzen, zu ihm aufs Sofa, aber dann sieht er ihr in die Augen, lässt sich aufs Sofa fallen und zuckt mit den Schultern.
    »Es ist Samstagnachmittag. Wer nicht arbeitet, ruht sich sicher aus. Oder sie sind oben auf der Brücke und gucken sich das Unwetter an.«
    Sie nickt. Seufzt schwer.
    »Ich bin total erledigt …«
    John hält ihr seine Zigaretten hin, und sie nimmt eine, lässt sich von ihm auch noch Feuer geben.
    »Ist das immer so?«, fragt sie dann und schaut auf die Glut.
    »Was?«
    »Dass der Sturm in Sekundenschnelle hereinbricht.«
    Er zuckt wieder mit den Schultern.
    »Das kommt vor.«
    »Und wie geht es dann mit dem Fisch?«
    »Wir haben ihn hochgezogen und in den Container gestellt. Die Geschwindigkeit war zu hoch und das Eis zu dick. Er wäre kaputtgegangen.«
    »Dann hast du momentan keine Ergebnisse vorzuweisen.«
    »Doch, schon. Am Lomonossow-Rücken wird es wieder gehen. Da können wir das Tempo drosseln und die gleiche Strecke mehrmals abfahren. Damit das Eis richtig gebrochen wird. Im Augenblick geht es ja eigentlich nur ums Vorwärtskommen.«
    Aha. Vor dem Fenster heult der Wind, aber ansonsten ist es still. Nur das schwere Motorenhämmern der Oden pulsiert im Hintergrund. Susanne nimmt einen tiefen Zug, schließt die Augen. Hat keine Eile. Muss nirgendwohin. Doch das ist ein Gedanke, gegen den ein anderer Teil ihres Selbst sofort heftig aufbegehrt.
    »Ich glaube, ich gehe und nehme eine heiße Dusche.«
    »Ja«, nickt John.
    »Nochmals vielen Dank, dass du mir die Tür geöffnet hast.«
    Er lächelt.
    »Keine Ursache. Kommst du heute Abend auch zum Fest?«
    »Ist heute Abend ein Fest?«
    »Es ist doch Samstag.«
    Sie bleibt einen Moment lang schweigend sitzen, erinnert sich an das Gewummer von der Bar am letzten Samstag, als sie in ihrer Koje lag und las. Da hatte auch ein Fest stattgefunden. Aber es wäre ihr im Traum nicht eingefallen, hinunterzugehen und mitzumachen. Etwas anderes war es mit dem Fest zur Polarkreistaufe gewesen, da hatte es sich selbstverständlich ergeben. Ich sollte wohl, denkt sie unsicher. Um zu sehen, wie es zugeht. Und wenn es nur um des Buches willen ist.
    »Doch, ja«, sagt sie also. »Natürlich komme ich zum Fest hinunter.«
    Und doch bricht John zuerst auf, er schaut auf seine Uhr und murmelt etwas, verschwindet dann, nachdem er sich seine Jacke geschnappt hat. Als sie zum Treffpunkt kommt, ist er schon fort, sie steht ganz allein dort und schaut sich um. Auf dem Monitor blinkt ein roter Text: Sturmwarnung! Nur im äußersten Notfall an Deck gehen!
    Susanne zieht vor lauter Unbehagen die Schultern hoch. Aha. Da ist also die Warnung. Sie hat sie nach dem Mittagessen übersehen, weiß noch, dass sie nicht einmal auf den Monitor geschaut hat, als sie aus der Messe kam, dass sie den Treffpunkt nur auf dem Weg zur Treppe überquert hat, unterwegs zu ihrer Kajüte und ihrem Computer. Und dass sie anschließend am Computer gesessen und eine Weile geschrieben hat, eine ziemlich lange Weile, aber zum Schluss aufschaute und sich wohl oder übel eingestehen musste, dass das, was sie geschrieben hatte, schlecht war, dass es albern war, unter aller Kritik. Kurz gesagt, das Übliche.
    »Du sollst nicht so gemein zu dir selbst sein«, hatte Elsie ihr ins Gedächtnis eingeprägt, und deshalb war sie sogleich aufgestanden, hatte sich die Jacke angezogen und war aufs Vorderdeck gegangen, um zu rauchen und Elsie zu vertreiben. Und der Sturm hatte sie wirklich vertrieben, sie hatte nicht einen Gedanken mehr an Elsie verschwendet, seit die Sonne hinter den Wolken verschwunden war.
    Aber jetzt ist Elsie wieder da. Jetzt steht Susanne am Treffpunkt plötzlich ganz still und sieht Elsie in ihrem Bett im Pflegeheim von Landskrona liegen. Zehn Jahre sind

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