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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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war so dumm. Ich habe tatsächlich geglaubt, dass sie ihn mochte. Richtig. Und mich. Dass sie mich auch mochte … Jedenfalls bis zu jenem Tag. Aber so war es ja gar nicht. Sie war doch nur an ihm interessiert, weil er prominent war. Und an mir war sie nur interessiert, weil ich die Schwester von einem Promi war.«
    Sie schaute auf, sah Elsie kurz an und ergänzte:
    »Oder Cousine halt.«
    Elsie nickte nur. Das war nicht wichtig. Das sollte Susanne wissen.
    »Und jetzt will sie mit einer englischen Band los«, sagte Susanne. »Weil die schicker sind, eine englische Band ist immer schicker als eine schwedische. Und mit den Typhoons ist es ja zu Ende, deshalb hat sie sicher Tommy fallen lassen, aber das kann mir ja gleich sein, nicht das interessiert mich, sondern … Sondern … Nein, ich weiß nicht, was eigentlich! Sie ist nur grässlich. Gruselig!«
    Jetzt weinte sie endlich. Elsie stand auf und holte etwas Küchenpapier, schob es über den Tisch Susanne zu.
    »Ich fühle mich so ausgenutzt«, sagte Susanne und putzte sich die Nase. »Ich bin ausgenutzt worden. Sie hat mich benutzt, um an ihn heranzukommen, und ich habe es zugelassen. Denn ich war so dämlich, dass ich überhaupt nichts kapiert habe. Es gab ja welche, die das gesehen haben, die gesagt haben, was los war und wie es kommen würde, aber ich habe nicht auf sie gehört. Habe mich einfach geweigert zuzuhören. Und jetzt habe ich keine Freunde mehr. Keinen einzigen. Ich bin einsam, und Björn fehlt mir, er fehlt mir so sehr. Björn. Mein Bruder. Nicht der Rockstar. Ich denke Tag und Nacht an ihn, aber ich habe niemanden, dem ich das sagen kann. Mein Vater redet nicht mit mir, und meine Mutter … Meine Mutter …«
    Sie zitterte. Elsie reichte ihr die Hand, aber Susanne ergriff sie nicht, hob stattdessen ihre rechte Hand und legte sie sich über die Augen, versteckte sich, als schämte sie sich, als hätte sie etwas getan, wofür sie sich schämen müsste. Ihre Stimme wurde dünn wie ein seidener Faden, aber jetzt schluchzte sie nicht mehr. Jetzt klang es nicht einmal mehr wie Weinen.
    »Und meine Mutter meint, ich sei es gar nicht wert zu leben«, sagte sie mit dieser dünnen Stimme. »Das hat sie gesagt. Sie hat es mir gesagt, als sie verrückt wurde. Und manchmal glaube ich, sie hat recht. Ich bin es nicht wert zu leben.«
    Sie brauchte fast eine Stunde, um Susanne ins Bett zu bringen, und als diese Stunde vorbei war, war Elsie vollkommen erledigt. Sie schloss Susannes Zimmertür mit einem Seufzer, lehnte sich dann gegen die Wand und schloss die Augen. Versuchte sich zu konzentrieren. Nachzudenken. Sich wie ein erwachsener, verantwortungsbewusster Mensch zu benehmen.
    Sie war um zwölf Uhr mittags in Göteborg an Land gegangen und hatte sich sofort in ein Taxi gesetzt, war zum Bahnhof gefahren und hatte nach nicht einmal einer Stunde schon im Zug gesessen. In Helsingborg hatte sie in einen Regionalzug umsteigen müssen, einen Zug, der an jeder Milchkanne anhielt und die Söhne und Töchter wohlsituierter schonischer Bauern hinausließ, kichernde, plappernde und fast schreiende Jugendliche, die auf dem Heimweg von der Schule waren. Sie hatte sie sehr genau beobachtet, ihre Kleidung und ihre Bewegungen gemustert, ihren Stimmen und Gesprächen gelauscht, unauffällig nach ihren Düften geschnuppert und war verwundert. Keiner von ihnen roch noch nach Stall. Sie rochen nach Seife und Schweiß, nach Axxe und – misstrauisch schnupperte sie noch einmal – nach Chanel No. 5. Außerdem waren sie besser gekleidet als alle anderen Jugendlichen, die sie je gesehen hatte, sogar besser als die Jugendlichen, die bei Björns Fernsehauftritt in England im Publikum gewesen waren. Alle Pullover sahen aus, als wären sie aus Lambswool oder Shetlandwolle. Einige Mädchen trugen Blusen, die aus reiner Seide sein mussten, und einige Jungen hatten weiße Hemden und Krawatten. Alle Steppjacken waren neu und wulstig. Alle Dufflecoats und Lederjacken waren so neu, dass sie aussahen wie frisch von der Stange. Niemand sah mehr arm aus. Aber ihr Dialekt war noch genauso breit wie eh und je, kein einziger Vokal kam allein über ihre Lippen, sie hingen stets mit anderen zusammen: io, ae, ou. Doch der Ton war anders. Er war härter geworden. Gröber. Boshafter.
    Sie waren gleichaltrig mit Susanne. Ihre Schulkameraden. Ihre Welt. Elsie überlief ein Schauder.
    Sie ging die fünf Schritte zum Bad, trat hinein und musterte sich im Spiegel. Die Schlange war nicht da, ihre Augen waren

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