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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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erneut, eine Spur weniger scheu dieses Mal, eher ein wenig traurig. Raffiniert. Sehr raffiniert. So würde sie jeden einwickeln können, ob Mädchen oder Junge, jung oder alt. Aber Susanne hatte nicht vor, sich manipulieren zu lassen. Dieses Mal nicht. Nie wieder.
    »Susanne«, sagte Eva.
    Susanne blieb stehen, maß ihr Gegenüber mit Blicken, antwortete jedoch nicht. Sagte gar nichts.
    »Ich habe das von deiner Mutter gehört«, sagte Eva und klimperte mit den Wimpern. »Wie tragisch. Wie furchtbar traurig.«
    Susanne sagte immer noch nichts, doch Eva schien das nicht zu bemerken. Sie schaute auf die Pflastersteine und seufzte.
    »Es ist wohl zu viel für sie gewesen. Es ist ja für viele von uns zu viel gewesen. Ich und …«
    Sie führte ihren Satz nicht zu Ende. Das war ein perfekter Abbruch, man konnte fast die drei Pünktchen, die dem abgebrochenen Satz in schriftlicher Form folgen würden, aus ihrem Mund herausschweben und langsam zu Boden segeln sehen. Jetzt konnte jeder, der sie hörte, den Satz selbst beenden. Am besten in Illustriertensprache: Ich und Tommy sind uns in die Arme gefallen und haben geweint. Oder: Ich und Tommy können nicht einmal darüber reden. Oder: Ich und Tommy, wir haben den Schmerz einfach nicht mehr ertragen können, deshalb mussten wir uns schließlich trennen. Aber Susanne dachte gar nicht daran, den Satz zu beenden, schon gar nicht in Illustriertensprache, sondern stand stumm und reglos vor Eva und beobachtete sie, ließ ihren Blick von dem sorgfältig geschminkten Puppengesicht mit tiefschwarzen Augen über den sehr effektvoll hochgeschlagenen Mantelkragen bis hinunter zu den braunen Wildlederstiefeln und wieder zurück wandern. Ließ ihren Gesichtsausdruck dabei vollkommen unverändert, änderte nur ein wenig die Haltung, verlagerte das Körpergewicht weiter auf die rechte Hüfte und schaute Eva erneut in die Augen, ohne etwas zu sagen. Sie wusste plötzlich nicht einmal, ob sie etwas hätte sagen können, ob sie überhaupt noch eine Stimme hatte. Doch das war auch gleich. In den letzten Monaten hatte sie einiges über die Macht des Schweigens gelernt, und jetzt war sie bereit, sie auszuüben, sie zum ersten Mal so bewusst anzuwenden, wie sie nur konnte.
    Eva beugte sich vor, legte ihre braune Handschuhhand behutsam auf Susannes Ärmel und fragte:
    »Und wie geht es dir?«
    Susanne sah ihr in die Augen, schaute dann auf die braune Hand auf ihrem Parka und sah wieder auf. Das half. Eva zog ihre Hand zurück, ließ sie hochschnellen und schnell den Kragen zurechtrücken, der in keiner Weise zurechtgerückt werden musste, lächelte dann und sagte:
    »Ich habe an dich gedacht. Oft.«
    Aha. Und was sollte Susanne darauf antworten? Wurde von ihr erwartet, dass sie zusammenbrach, Eva in die Arme fiel und Gott dafür dankte, dass überhaupt jemand an sie dachte? Wohl kaum. Sie zog nur die Augenbrauen hoch und ließ den linken Mundwinkel etwas in die Höhe schnellen. Wenn das ein Lächeln gewesen wäre, dann ein Hohnlächeln, aber es dauerte eine oder zwei Sekunden, bis Eva das begriff. Sie war schon immer etwas schwer von Begriff gewesen, wenn nicht sie diejenige war, die die Bedingungen vorgab. Und jetzt war nicht sie am Ruder. Sondern Susanne.
    »Also, ich …«
    Jetzt kam Eva vollkommen aus dem Konzept, das war ein ganz anderer abgebrochener Satz als vorhin. Ihr Blick wurde unstet, sie suchte eilig nach einer Möglichkeit zu entkommen, fand jedoch keine. Zu beiden Seiten drängten sich die Menschen an den Ständen, und Susanne stand kerzengerade, stumm und unerschütterlich direkt vor ihr. Evas Hand flog hoch an ihre Kehle, wo sie wie ein unzureichender Schutz auf ihrem schmalen weißen Hals lag. Dann klappte sie die Augen auf und zu, überwand sich und sagte:
    »Ich weiß, dass ich damals nicht so nett zu dir gewesen bin. In Nässjö. Bevor das passiert ist. Aber ich war ja frisch verliebt, weißt du. Total verknallt. Und da kann man schon mal …«
    Schon mal was? Susannes Augenbrauen rutschten hoch, aber sie senkte sie rasch wieder. Wie dumm konnte man eigentlich sein? Glaubte Eva tatsächlich, dass Susanne herumlief und sich wegen etwas grämte, was einer anderen Person in einem anderen Leben zugestoßen war, in einer ganz anderen Welt? Begriff Eva nicht, dass sie danach andere Verbrechen begangen hatte? Schlimmere. Und zwar in den Zeitungen. In einem Interview nach dem anderen. Diebstahl ihres Bruders. Schwere Sachbeschädigung ihrer Erinnerung.
    Eva richtete sich auf, sah

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