Eis und Wasser, Wasser und Eis
ihre eigenen, und das machte sie nur noch entschlossener. Susanne musste geschützt werden. Jemand musste ihre Existenz bestätigen und ihr den Schutz geben, den sie brauchte. Elsie spritzte sich ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht, schaute sich nach einem Handtuch um, um sich abzutrocknen, musste jedoch feststellen, dass nur zwei kleine, ganz schmutzige Handtücher an den Haken hingen. Sie riss ein Stück Toilettenpapier ab, tupfte sich damit das Gesicht ab und fuhr sich dann mit dem Kamm durchs Haar. Einen Moment lang huschten ihre Gedanken in ihre eigene Wohnung, die dunkel in der Sankt Olofsgatan auf sie wartete, sie sah sich selbst draußen im Treppenhaus stehen und zögern, so wie sie im Frühling vor Lydias Tür gezögert hatte, dann zuckte sie mit den Schultern und legte den Kamm hin. Lydia war ihre geringste Sorge. Ein altes Gespenst. Ein Geschöpf, das Angst vor dem Leben und den Lebenden hatte. Vielleicht wusste sie nicht einmal, dass Elsie nach Hause gekommen war. Was sie nicht verwundern würde. Niemand in dieser Familie schien ja überhaupt noch mit dem anderen zu reden.
Sie hielt sich am Handlauf fest, während sie die Treppe hinunterging. Gelbes Licht sickerte aus der Küche, aber das Wohnzimmer, in dem Birger saß, lag im Dunkel. Sie blieb in der Türöffnung stehen, schaute ihn an, wie er dort saß. Ein müder Mann im blauen Fernsehlicht. Verschlossen. Einsam.
»Können wir ein Licht anmachen?«, fragte sie.
Birger drehte ihr den Kopf zu, gab jedoch keine Antwort, schaute sie nur einen Moment lang an, während er sich nach der Stehlampe neben sich streckte und sie einschaltete, dann wandte er den Blick wieder dem Fernsehbildschirm zu. Ein dunkler Mann sprach, und Birger hörte sehr aufmerksam zu. Es handelte sich um Fußball. Soweit Elsie wusste, war Birger nie an Fußball interessiert gewesen.
»Du könntest nicht vielleicht den Fernseher ausschalten?«
Es zuckte um Birgers Mund, als wollte er etwas sagen, könnte es jedoch nicht. Als hätte ihm jemand den Mund zugenäht. Als hätte ihm jemand mit dem Tacker die Lippen zusammengeheftet. Aber Elsie wollte sich nicht damit abfinden. Sie wurde lauter:
»Ich möchte mit dir reden.«
Sein Blick irrte umher, er murmelte etwas.
»Wie bitte?«, fragte Elsie.
Er sprach lauter, ohne dabei jedoch den Fernseher aus den Augen zu lassen.
»Da gibt es nichts zu reden.«
Elsie spürte, wie ihr die Wut durch den Körper schoss, und sah sich gezwungen, die Augen zu schließen und tief durchzuatmen, damit er nichts davon mitbekam, als sie weitersprach.
»Susanne«, sagte sie. Ihre Stimme war ganz klar, doch sie klang nicht wütend, es war ihr tatsächlich nicht anzuhören, wie es in ihr brodelte. Birger bewegte sich immer noch nicht. Er saß nur stocksteif in seinem hart gepolsterten Sessel aus den Fünfzigerjahren, mit starrem Blick auf den Fernseher. Gab keine Antwort.
»Wir müssen über Susanne reden«, sagte Elsie noch einmal. »Es geht ihr nicht gut.«
Birger zuckte mit den Schultern, ohne vom Fernseher wegzusehen. Der dunkle Mann verschwand, jetzt starrte Birger auf eine Uhr. Intensiv. Als wäre es ein unglaublich wichtiger Countdown, nicht nur die Pause zwischen zwei Sendungen.
»Sie leidet doch wohl keine Not«, sagte Birger schließlich. »Sie hat etwas zu essen und Kleidung. Sie kann zur Schule gehen. Worüber hat sie sich zu beklagen?«
Der Boden schwankte unter Elsie, sie konnte geradezu spüren, wie sich eine Welle von der Tür durch das ganze Wohnzimmer fortsetzte, wie sie gegen die gegenüberliegende Wand prallte und zurückrollte. Sie griff nach dem Türrahmen, krallte sich daran fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
»Sag mal, bist du nicht ganz bei Trost?«, fragte sie dann. Ihre Stimme zitterte.
Birger antwortete nicht. Sah sie nicht an. Umklammerte nur eisern die Armlehnen seines Sessels und starrte intensiv auf den Bildschirm. Elsie kehrte ihm den Rücken und ging die Treppe hinauf.
Björns Zimmer sah aus, als hätte er es erst vor Kurzem verlassen. Ein Pullover war aufs Bett geworfen worden, ein schwarzer Lambswoolpulli, und sie setzte sich daneben, nahm ihn ganz vorsichtig hoch und presste ihr Gesicht hinein. Versuchte Björns Duft zu spüren, musste sich aber mitten in der Bewegung eingestehen, dass sie versuchte, sich selbst zu belügen. Wie sollte sie seinen Duft wiedererkennen? Sie wusste doch gar nicht, wie Björn roch. Wie er gerochen hatte. Sie ließ die Hand mit dem Pullover auf den Schoß sinken, blieb dann
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