Eis und Wasser, Wasser und Eis
darauf wartend, dass sie sich verplappern würde. Sie hatten ihn geworben. Das war schlimm, aber es war die Wahrheit. Sie hatten Björns eigenen Stiefvater geworben, um Informationen über ihn zu beschaffen.
»Schrecklich«, sagte sie laut und schüttelte den Kopf.
Schwester Siv reagierte natürlich sofort. Richtete sich auf, ließ Karin Lundström los und wandte sich Inez zu. Lächelte ihr durch und durch falsches Lächeln.
»Was haben Sie gesagt?«
Inez wartete einen Moment ab, dann schüttelte sie erneut den Kopf.
»Schreckliches Wetter.«
Schwester Siv warf einen Blick aus dem Fenster.
»Nun ja. Etwas bedeckt. Aber sonst geht es doch.«
Inez lächelte schmallippig.
»Mir fehlt die Sonne«, sagte sie. Das müsste ja wohl jeder verstehen, was das bedeutete. Was sie eigentlich sagte. Aber diese dämliche Schwester Siv lächelte nur ebenso falsch wie zuvor und erwiderte:
»Sicher. Aber schließlich haben wir Dezember. Da kann man nicht so viel Sonne erwarten. Aber dafür steht Weihnachten vor der Tür, das ist ja auch ein Trost.«
Bedeutete das, dass sie zu Weihnachten etwas mit Björn vorhatten?
O ja. Genau das bedeutete es.
Die Frage war nur, was sie tun wollten. Und wie. Und wann.
Inez musste es herausfinden. Sich bereit machen. Damit sie Björn verteidigen konnte. Irgendjemand musste ihn schließlich verteidigen.
Sie saß über eine Stunde reglos auf ihrem Bett und dachte über die Sache nach. Bewegte sich nicht. Sagte nichts. Saß nur vollkommen stumm und starr da und versuchte auszurechnen, welche Pläne die Feinde mit Björn hatten, rührte sich nicht einmal, als Schwester Siv den Kopf durch die halb offene Tür hereinsteckte.«Ich habe eine Überraschung«, sagte sie lachend.
Inez fröstelte. Sie mochte keine Überraschungen. Und schon gar nicht Schwester Sivs Überraschungen.
»Kämmen Sie sich eben und kommen Sie dann mit«, sagte Schwester Siv. »Damit Sie sehen können, wer gekommen ist, um Sie zu besuchen.«
Inez spannte den ganzen Körper an, zum Kampf wie zur Flucht bereit, ließ sich aber nichts davon anmerken. Sie ging nur ein wenig langsamer als sonst und umklammerte mit festem Griff die Laufstange an der Wand, blinzelte ein wenig und versuchte durch die Glaswand zu erkennen, wer da draußen im Besucherzimmer auf sie wartete. Es dauerte eine Weile, bis ihr Körper begriff, was die Augen sahen. Sie blinzelte erneut. Sandfarbenes Haar. Wie ihr eigenes. Goldkettchen. Wie ihr eigenes. Sehr blasse Wangen. Wie ihre eigenen. Hatten sie eine Kopie von ihr gemacht? Eine Gummipuppe, die gehen, stehen und reden konnte? Wollten sie sie umbringen und die Puppe an ihre Stelle setzen? Sollte die Puppe den Verrat begehen, den Inez niemals selbst begehen würde?
Sie blieb auf der Schwelle stehen, konnte sich nicht zum Schritt ins Besucherzimmer überwinden. Wer sollte Björn verteidigen, wenn sie weg war? Wer?
»Das ist doch Ihre Schwester«, sagte Schwester Siv und gab ihr einen kleinen Knuff in den Rücken. »Ihre eigene Schwester.«
Inez konnte nicht dagegenhalten. Jetzt stellte sie einen Fuß auf das Linoleum des Besucherzimmers. Jetzt sah sie diese zweite Version ihrer selbst, die Kopie, die Fälschung, die Verräterin, wie sie aufstand, etwas unsicher lächelte und mit ausgebreiteten Armen sagte:
»Inez! Hallo. Meine liebe Inez!«
Es war vorbei. Alles war vorbei. Und die Welt wurde weiß von ihrem Schrei.
Lydia musste hinter ihrer Tür gestanden und gelauscht haben, denn sie öffnete sofort, als Elsie den Schlüssel in ihr Schloss steckte.
»Elsie«, fragte sie. »Bist du es?«
Elsie brachte es kaum fertig, sich umzudrehen, sie wandte nur den Kopf um und nickte.
»Ja«, sagte sie. »Ich bin es.«
Eine Weile blieb es still. Elsie drehte den Schlüssel. Griff nach der Klinke. Ließ sie wieder los. Sie konnte nicht einfach hineingehen und die Tür hinter sich schließen, wie gern sie es auch getan hätte.
»Ich dachte ich hätte dich letzte Nacht gehört«, sagte Lydia. »Aber ich war mir nicht sicher.«
Sie klang kleinlaut. Als wäre sie ausgeschimpft worden oder hätte eine Ohrfeige bekommen. Elsie drehte sich um. Versuchte ein Lächeln hinzukriegen, ein sicheres, freundliches, verlogenes Lächeln, das Lydia versichern sollte, dass alles in Ordnung war. Wie sie Lydia ihr ganzes Leben lang angelächelt hatte.
»Ich bin gestern Abend erst sehr spät nach Hause gekommen«, sagte sie. »Deshalb habe ich nicht bei Ihnen geklingelt. Ich war zuerst in der Svanegatan. Und heute Morgen
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