Eis und Wasser, Wasser und Eis
Eisenbahnfahrkarten. Leider. Sie mussten den Gürtel enger schnallen. Anna-Lisa war bereits gekündigt worden, und Lydia hatte sich schon um eine feste Stelle als Lehrerin in der Schule von Landskrona beworben und sie bekommen, eine Stelle, die mehrere hundert Kronen im Jahr mehr einbrachte. Sie würden umziehen, sobald die Sommerferien anfingen. Jetzt ging es nur noch darum, eine passende Wohnung zu finden, aber das würde bestimmt klappen. Ernst hatte bereits mit einigen alten Freunden aus der Lundzeit geredet, Freunde, die in der Gegend wohnten und die sicher …
Umziehen? Inez und Elsie hatten sie angestarrt, ohne ein Wort zu sagen, um sich dann plötzlich einander zuzuwenden und ihr eigenes Entsetzen im Gesicht der Schwester zu betrachten. In diesem Augenblick war das Band zwischen ihnen wieder genauso stark wie früher.
»Meint Frau Mama das ernst?«, fragte Inez.
Lydia zog sich die Handschuhe aus und griff schnell nach der Brosche am Jackenrevers.
»Natürlich meine ich das ernst.«
»Wir sind noch nie in Landskrona gewesen«, sagte Elsie.
»Das ist mir schon klar«, erwiderte Lydia. »Ich selbst bin auch noch nie dort gewesen.«
»Wir dachten, Frau Mama mag Skåne nicht«, sagte Inez.
»Frau Mama hat doch immer gesagt, dass Göteborg viel netter ist«, sagte Elsie.
Lydia bekam glänzende Augen und zog ein Taschentuch hervor, fuhr sich damit über die Nase und räusperte sich.
»Das ist gut möglich. Aber es gibt für mich in Göteborg keine Arbeit. Vielleicht ziehen wir ja wieder zurück, wenn Papa gesund ist. Er hat schon angefangen, ein Haus für uns zu entwerfen.«
Lydia schlug die Beine übereinander und verschränkte die Hände auf einem Knie. Lächelte. Elsie versuchte ihr Lächeln zu erwidern, doch das gelang ihr nicht so recht. Inez imitierte die Bewegungen der Mutter, aber sie schaffte es nicht, genauso kerzengerade dazusitzen.
»Nun ja«, sagte sie und hob ihr Kinn dabei ein wenig. »Frau Mama sagt doch immer, es kommt nicht darauf an, was das Leben bringt, sondern darauf, wie man es nimmt.«
Lydias Lächeln wurde noch breiter.
»Genau«, nickte sie. »Das stimmt. Es geht nur darum, wie man es nimmt.«
Aber sie nahmen es nicht besonders gut. Keine von ihnen. Bereits in den ersten Wochen in Landskrona vergaß Lydia immer häufiger, froh auszusehen, und Inez und Elsie begannen, sich offen gegenseitig anzufauchen.
Ihr neues Zimmer war nicht einmal halb so groß wie das Kinderzimmer in Göteborg, es barg nichts außer ihren Betten und einem kleinen Nachttisch. Der war wiederum so klein, dass auf ihm nur Platz für die alte Messinglampe mit ihrem Pergamentschirm war. Die Betten standen jedes an einer Wand, trotzdem musste man nur die Hand ausstrecken, wenn man in einem lag, um das andere zu berühren. Nicht, dass Inez oder Elsie überhaupt auch nur in den Sinn kam, die Hand nacheinander auszustrecken, im Gegenteil: Der Abstand zwischen ihnen wurde immer größer, seitdem sie einander gezwungenermaßen so dicht auf die Pelle rückten.
»Halt deine Sachen in Ordnung«, zischte Inez, hob einen Kleiderstapel von ihrem Bett auf und ließ ihn zu Boden fallen. Elsie verzog die Oberlippe.
»Benimm dich nicht wie ein Baby!«
Sie beugte sich über den Stapel auf dem Boden und zog einen BH heraus, legte ihn zusammen, ein Körbchen ins andere. Inez schnaubte.
»Genau genommen bin ich älter als du.«
»Aber sicher. Ganze zwei Minuten. Nicht, dass man davon etwas merken würde.«
»Du bist eklig.«
»Du bist neidisch.«
»Pah! Worauf denn?«
»Das weißt du genau«, sagte Elsie und ging mit ihrem BH auf den Flur, um ihn in den Schrank zu stopfen.
Auch der Rest der Wohnung war zu klein. Nichts passte. Die Möbel waren zu groß und wuchtig in ihrer zurückhaltenden Neuen Sachlichkeit, und das Licht aus den großen Fenstern entblößte unbarmherzig ihre Makel. In dem großen Schlafzimmer drängte sich das Doppelbett gegen Lydias wackligen Schreibtisch, die Tagesdecke sah plötzlich verblichen aus, und der Volant hatte sich an mehreren Stellen gelöst. Im Wohnzimmer drückte der Esstisch gegen das abgenutzte Plüschsofa, und draußen im Flur musste man den Bauch einziehen, um zwischen den Bücherregalen und Ernsts geerbtem Schreibtisch aus dem 18. Jahrhundert durchzukommen. Es gab nicht einmal ein Badezimmer. Wer baden wollte, musste sich ein Handtuch unter den Arm klemmen und in den Keller hinuntergehen, in einen kalten kleinen Verschlag, den sich alle Mieter des Hauses teilten. Wobei es
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