Eis und Wasser, Wasser und Eis
betrunken ist, sondern um Anders’ willen, damit Anders seine Unruhe los wird. Er sah keine andere Möglichkeit, als dafür zu sorgen, dass er Robert ständig unter seiner Aufsicht hat.
Ulrika deckte Robert zu und wandte sich dann zu Anders um.
»Bist du müde?«
Er wusste nicht, was er antworten sollte, schüttelte nur den Kopf. War das Müdigkeit? Das Gefühl, als hätte ihn jemand mit einem offenen Feuer unter der Haut gebrannt? Ja. Nein. Das war etwas anderes.
»Du bist blass«, sagte Ulrika. »Willst du nicht etwas essen?«
Sie hatte recht, er musste etwas essen, schließlich hatte er das Abendessen versäumt. Und dann musste er schlafen. Tief und lange.
»Ja«, nickte er und war selbst erstaunt, das seine Stimme genau wie immer klang. »Kannst du bei ihm bleiben, bis ich zurück bin?«
Beim Essen ging es ihm langsam besser, er hatte geradezu gespürt, wie der Blutzuckerspiegel stieg und damit sein Optimismus. Er hatte genau das getan, was getan werden musste, was jeder Handchirurg auch getan hätte. Er hatte die Sehne in der klaffenden Wunde zusammengenäht, alle Glasscherben herausgesucht, ordentlich gesäubert und die eine Wunde mit acht Stichen, die andere mit sechs und die dritte mit vier Stichen vernäht. Was konnte man sonst noch verlangen?
Nach dem Essen hatte er sich nach frischer Luft gesehnt und war an Deck gegangen. Jetzt steht er allein am Bug und lehnt sich gegen die Reling, sieht und spürt, dass das Schiff offenbar an Fahrt verliert. Vielleicht liegt das am Eis. Sie sind in einen Gürtel mit vielen Eisschollen gekommen, kleine und große, bunt durcheinander. Es macht schläfrig, zu sehen, wie sie vor dem Bug zur Seite gleiten, der Blick heftet sich an sie. Ein paar von ihnen tauchen zuerst ins Meer und kommen dann mit abgespültem Schnee wieder hoch, klarblau und glänzend, als wären sie …
»Hallo auch.«
Das Herz beginnt zu rasen. Das ist eine rein physische Reaktion, die Anders überrascht und die er schnell sich selbst gegenüber verteidigt. Er dachte ja, er sei allein an Deck. Aber das ist er offensichtlich nicht. Ola steht ein Stück entfernt, er hat eine Zigarette in der linken Hand und ein Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit in der rechten. Und er lächelt.
»Habe ich dich erschreckt?«
Anders verzieht entschuldigend das Gesicht.
»Ich war nur gerade in Gedanken …«
Ola nimmt einen Schluck aus seinem Glas und kneift die Augen zusammen:
»Na, ist er zusammengeflickt?«
»Ja.«
Ola nickt und wendet den Blick ab, zieht dann lange an seiner Zigarette. Der Rauch verschwindet fast sofort, als er ihn wieder ausstößt.
»Gut.«
Eine Weile bleibt es still, Anders sucht nach Worten, etwas, was nichts mit Robert zu tun hat oder damit, was an diesem Abend passiert ist, aber ihm fällt nichts ein. Ola spricht als Erster wieder.
»Das ist vielleicht ein hinterhältiger Schurke, dieser …«
Anders zieht die Augenbrauen hoch.
»Weil er behauptet hat, du seist hässlich? Das war doch nur das Gerede von einem Besoffenen.«
Ola wirft ihm nur kurz einen Blick zu.
»Ach, da scheiß ich doch drauf.«
Anders erwidert nichts, zuckt nur mit den Schultern. Das nutzt nichts. Ola hat seinen Blick abgewandt, spricht aber weiter.
»Solche habe ich schon häufiger gesehen …«
»Ach ja?«
»Diesen Typ erkenne ich sofort wieder. Sobald er an Bord kommt.«
Eine Weile schweigen beide, und Anders überlegt kurz, ob er weggehen soll, doch er bewegt sich nicht, bleibt reglos stehen und sieht Ola an, der wieder sein Glas erhoben hat, aber den Blick weit in die Ferne richtet.
»Solche Typen sind nicht … Hoppla!«
Das Schiff legt sich zur Seite und hält an. Das ist nur eine kleine Bewegung, doch sie genügt, um Ola aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er streckt die linke Hand aus und greift nach der Reling, gleichzeitig gelingt es ihm, so zu parieren, dass nicht ein Tropfen Whisky aus seinem Glas verschüttet wird.
»Elegant«, sagt Anders lächelnd.
Ola grinst.
»Nicht wahr?«
»Warum halten wir an?«
»Resolute. Die Insel da hinten. Da wartet der Eislotse.«
Anders dreht sich um und blickt zum Horizont. Was eben noch wie eine sehr dunkle Wolke aussah, hat sich auf die Wasseroberfläche gesenkt und in eine Insel verwandelt. Eine schwarze Insel.
»Und wann kommt er?«
»Morgen«, erklärt Ola. »Wenn es heller ist. Wenn der Hubschrauber landen kann.«
Eine Weile bleibt es still, sie stehen nebeneinander und schauen zur Insel.
»Weißt du was von …«
Olas Stimme
Weitere Kostenlose Bücher