Eis und Wasser, Wasser und Eis
da fing er an zu schreien. Anders hatte Ola bitten müssen, ihn festzuhalten, während er selbst das anrichtete, was er an Nadeln, Pinzetten und Fäden brauchte.
»Lass mich los, du hässlicher Teufel!«, schrie Robert hinter seinem Rücken.
Anders warf einen Blick über die Schulter. Ola stand über Robert gebeugt und drückte seine Schulter auf das grüne Gewebe, versuchte aber gleichzeitig den eigenen Oberkörper zur Seite zu drehen und das Gesicht abzuwenden. Er sah angewidert aus. Der provisorische Verband – ein sauberes Küchenhandtuch, das in der Bar herumgelegen hatte – war abgefallen, und Robert wedelte mit der rechten Hand herum, dass das Blut nur so spritzte. Ola hatte bereits drei rote Flecken auf dem Pullover und einen an der Wange.
»Loslassen! Lass mich endlich los, verdammt noch mal!«
Aber Ola ließ nicht los, schaute nur zu Anders hinüber.
»Er muss gut getankt haben, um so breit zu werden.«
Anders nickte und faltete ein grünes Operationstuch auseinander. Ein Gedanke durchfuhr ihn – Was mache ich, wenn die Sachen aufgebraucht sind? –, er schob ihn aber schnell wieder beiseite. Folke hatte den Sanitätsbereich mit allem bestückt, was das Herz begehrte, und noch ein bisschen mehr. Er holte tief Luft, schloss die Augen und versuchte sich an die Namen sämtlicher vierundzwanzig Handknochen zu erinnern, die Lage der Strecksehnen, des Medianusnervs und den Verlauf der Speichenarterie, nur um eine Sekunde lang in eine Erinnerung an eine Vorlesung bei dem alten Professor Hillén abzutauchen, eine Vorlesung, bei der der Alte seine eigenen faltigen, braun gefleckten Hände als Beispiel für die vollkommene Hand verwendet hatte …
»Scheiße, lass mich los! Verdammtes Arschloch! Du Mörderschwein!«
Roberts Stimme wurde schriller, und er zappelte und versuchte sich aus Olas Griff zu befreien, doch da legte sich Ola mit seinem gesamten Gewicht auf ihn und grinste schadenfroh.
»Nun beruhige dich mal. Denn jetzt kommt Anders mit der Spritze.«
»Das ist nur eine leichte Betäubung«, sagte Anders. »Kein Grund, sich Sorgen zu machen.«
»Ich mache mir keine Sorgen«, schimpfte Robert.
»Gut. Aber bevor ich dir die Spritze gebe, möchte ich, dass du beide Hände zu Fäusten ballst und sie dann wieder öffnest.«
»Nur wenn er mich loslässt!«
Ola richtete sich auf.
»Ich habe dich doch schon losgelassen.«
Roberts Blick wurde unstet, einige Sekunden lang sah es aus, als würde er mit verdrehten Augäpfeln in Ohnmacht fallen, dann schien er neue Kraft zu sammeln und hielt beide Hände hoch in die Luft. Die samtweiße linke Hand mit den sorgfältig manikürten Nägeln, Farbe und Form fast feminin, öffnete und schloss sich, wie sie sollte, während die rot verschmierte rechte Hand, auf der das Blut bereits in den Fingergelenken eingetrocknet war, sich nicht schließen ließ. Robert sah überrascht aus, starrte seine Hände an und öffnete sie noch einmal, versuchte sie erneut zu schließen. Es ging nicht. Der kleine Finger der rechten Hand spreizte sich ab.
Anders fluchte innerlich – Scheiße, so ein Mist! – , während er sich um eine ausdruckslose Miene bemühte. Natürlich. War ja klar, dass er eine durchtrennte Sehne geliefert bekommen musste. Nicht einmal die geschicktesten Handchirurgen konnten immer garantieren, dass die Beweglichkeit wiederhergestellt wurde, wenn eine Sehne durchtrennt war. Außerdem gab es die Frage, wie es mit dem Gefühl bestellt war … Nicht, dass er etwas daran ändern konnte. Jetzt ging es darum, die Blutung aufzuhalten.
»Wie geht es dir?«
Robert holte tief Luft, als die Nadel eindrang.
»Ist schon in Ordnung«, sagte er und schloss die Augen. »Aber kannst du nicht diesem hässlichen Idioten sagen, er soll abhauen?«
»Wird gemacht«, sagte Anders und schaute Ola an. »Du hast es gehört.«
Ola trat einen Schritt zurück und verzog das Gesicht.
»Warum behauptet er, ich sei hässlich?«
»Weil du es bist, natürlich«, antwortete Robert, ohne die Augen zu öffnen. »Du hässlicher Idiot.«
Seither ist es still gewesen. Robert hatte in einer Art Dämmerzustand dagelegen, und Ola hatte in einer Ecke gehockt und vor sich hin gestarrt, während Anders Glassplitter aus der größten Wunde herauszog. Es blutet immer noch, aber nicht mehr so stark, und die Speichenarterie scheint trotz allem unverletzt zu sein. Jetzt geht es nur darum, jeden einzelnen der millimetergroßen Splitter zu finden, die in der Wunde stecken, einen nach dem anderen
Weitere Kostenlose Bücher