Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
Vom Netzwerk:
klingt plötzlich anders, fester als vorher und trotzdem gedämpfter, aber er beendet seinen Satz nicht. Anders wartet einen Moment, hakt dann nach:
    »Ja?«
    Zunächst antwortet Ola nicht. Er steht reglos da und starrt auf die Insel, bis er plötzlich mit den Schultern zuckt und sagt:
    »Ach. Ich habe vergessen, was ich sagen wollte.«
    Ach so. Wogegen Anders absolut nichts hat. Langsam fängt er an, am unbedeckten Kopf zu frieren.
    »Ich muss jetzt reingehen«, sagt er und steckt die Hände in die Taschen. »Wir sehen uns.«
    Ola schnippt seine Kippe über die Reling und starrt weiter auf die Insel am Horizont.
    »Wird wohl so sein«, sagt er.

Wie lange soll sie noch hier sitzen?
    Mit kerzengeradem Rücken, beide Hände zwischen die Oberschenkel geklemmt. Mit starrem Blick. Ohne dass es eigentlich etwas anzustarren gibt in ihrer äußerst aufgeräumten Kabine. Sie ist so ordentlich, dass sie fast schon unbewohnt aussieht. Die Schranktüren sind zu und abgeschlossen. Alle Oberflächen sauber und kahl. Ihr Laptop ist zwischen Stuhllehne und Schreibtisch festgeklemmt, und alles wird von einem straffen Spannseil an Ort und Stelle gehalten. Es könnte ein Orkan kommen, ohne dass sich etwas hier drinnen bewegte, die ganze Oden könnte in die Luft gehoben, ein paarmal herumgewirbelt und wieder ins Wasser geworfen werden und so diverse Stöße abbekommen, ohne dass sich hier etwas veränderte. Doch, natürlich. Das Bettzeug würde herumflattern. Und sie selbst würde wie ein Pingpongball zwischen Decke und Wänden hin und her gestoßen werden.
    Aber es wird keinen Orkan geben, im Gegenteil, in dem grauen Dunst draußen vor dem Fenster regt sich kein Lüftchen. Das Meer liegt grau wie Eisen zwischen weißen Schollen, dunkle Wolken hängen schwer darüber, Nebel und Nieselregen verhüllen den Horizont. Es scheint, als wäre der Himmel nicht mehr in der Lage, weiter oben zu bleiben, als hätte er beschlossen, herabzusinken und sich wie eine Filzdecke über die Erde zu legen, als wollte er sie daran erinnern, dass diese Reise ein Irrtum ist, dass es eine Illusion war zu glauben, man könnte die Welt eine Zeit lang verlassen. Das Nördliche Eismeer liegt in der Welt. Der Eisbrecher Oden gehört zur Welt. Wer die Welt verlassen will, hat nur einen Ausweg. Aber sie hat sich selbst geschworen, nicht daran zu denken.
    »Reiß dich zusammen«, sagt sie laut zu sich selbst und drückt die Fäuste gegen die Augen, reibt so fest, dass die rote Dunkelheit schwarz wird. Als sie die Augen wieder öffnet, stellt sie fest, dass das Schiff offenbar angehalten hat. Es ist ganz still, alles, was sie hört, ist gedämpfte Musik von irgendwoher. Das Fest ist offenbar wieder in Gang gekommen. Gut. Dann muss sie nicht länger hier sitzen und Löcher in die Luft starren. Dann kann sie sich wie ein normaler Mensch benehmen, einer, der in der Gegenwart lebt. Vernünftig. Ganz normal. Sie muss sich einfach nur kämmen, wieder nach unten gehen und sich mit den anderen unterhalten. Da es jetzt sowieso zu früh zum Schlafen und zu spät zum Arbeiten ist und da ihre Gedanken die ganze Zeit zurück in die Vergangenheit fliehen wollen.
    »Das reicht jetzt«, sagt sie laut zu sich selbst.
    Und offenbar ist es genau das, was sie hören musste, denn im nächsten Moment ist sie im Badezimmer und wäscht sich unter fließendem Wasser, malt sich die Lippen mit dem, was vom Lippenstift noch übrig ist, ohne demjenigen auch nur einen Gedanken zu schenken, der ihn abgebrochen hat, und bürstet sich das Haar. Das geht in null Komma nichts. Sie lächelt ihr Spiegelbild an, während sie sich mit Parfüm einsprüht. So. Jetzt ist sie hübsch genug. Und in der Hosentasche liegt etwas, das wie ein Springmesser aussieht, für den Fall, dass sie zu hübsch sein sollte. Nicht, dass das Risiko besonders hoch wäre, aber trotzdem …
    Susanne trägt immer dieses Springmesser, das eigentlich etwas ganz anderes ist, bei sich. Das tut sie, seit sie fünfzehn war und bebend in Björns Zimmer ging, das Zimmer, das damals bereits seit über einem halben Jahr nicht mehr bewohnt wurde. Das Springmesser lag in seiner schwarzen Tourneereisetasche, die leer und verstaubt auf dem Boden seines Schranks stand. Sie selbst hatte an diesem Tag Fieber und befand sich in diesem sonderbaren Zustand, in dem die Haut einen Zentimeter über Muskeln und Knochen schwebt. Das machte alles unwirklich. Traumartig.
    Und hinterher erschien es ihr wirklich wie ein Traum, dass sie die verschlossene Tür zu

Weitere Kostenlose Bücher