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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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ab. Was passiert ist, ist passiert, und außerdem schon vor langer, langer Zeit. In einer anderen Welt, einer Welt, die es nicht mehr gibt, einer Welt, an die sich die Mehrheit der Menschen, die heute existieren, gar nicht mehr erinnern kann. Sie sind zu jung. Oder noch gar nicht geboren.
    Das Fest, genau. Sie wollte doch runter zum Fest gehen.
    Es wird immer noch getanzt, aber jetzt sind nur doch die Eifrigsten dabei. Junge Seeleute und ebenso junge Forscher und Forscherinnen gleiten über die Tanzfläche, mit geschlossenen Augen und streichelnden Händen, eng aneinandergedrückt. Ein paar alte Polarfüchse hängen am Bartresen, Susanne muss blinzeln, um zu sehen, wer es ist. Leif Eriksson. Der Steuermann. Und der Saure Sture. Der Meteorologe. Auf dem Ledersofa sitzt Lars, einer der Ornithologen. Mit ihm könnte sie sich unterhalten, aber er schläft.
    Nein, hier gibt es niemanden, mit dem sie Kontakt aufnehmen könnte. Jedenfalls niemand für sie.
    Sie überschreitet die Schwelle zur Bar gar nicht, bleibt einen Moment lang im Flur stehen, dreht sich dann um und geht. Sie will lieber zur Bibliothek − was für ein hochtrabender Name für die sechs vollgestopften Bücherregale, die in der Messe stehen − und sich etwas zum Lesen heraussuchen. Aus dem Raucherzimmer sind Stimmen zu vernehmen, als sie vorbeigeht, und einen Moment lang ist sie versucht hineinzuschauen, aber zum einen hat sie seit acht Jahren nicht mehr geraucht, und zum anderen …
    »Hallo!«
    Der Mann vor ihr zeigt ein breites Lächeln. Sie erwidert sein Lächeln, während sie in allen Ecken und Windungen ihres Gehirns nach seiner Identität sucht. Wer ist er? Forscher oder Besatzungsmitglied? Sie findet keine Antwort.
    »Hallo.«
    »Susanne? Nicht wahr?«
    Sie nickt stumm. Der Mann vor ihr hat weißes Haar und blaue Augen, glänzende blaue Augen, die etwas zu oft blinzeln. Er hat vergessen, einen der Knöpfe seines Hemds zu schließen, über seinem Magen klafft es etwas auf. Vielleicht ist er ein wenig betrunken.
    »Komm doch mit ins Raucherzimmer.«
    Sie macht eine entschuldigende kleine Bewegung mit dem Kopf, ein kurzes Nicken, das sich in dem Versuch, an ihm vorbeizukommen, im Rest des Körpers fortpflanzt.
    »Nein. Ich rauche nicht …«
    Ohne sich von der Stelle zu bewegen, bewegt er sich auf eine eigenartige Art und Weise doch. Versperrt den Weg. Er ist groß und kräftig. Sie müsste sich an die Wand quetschen, wenn sie an ihm vorbeiwollte.
    »Ist doch egal. Komm trotzdem rein.«
    Er legt den Arm um sie, schiebt sie mit sanfter Gewalt zur Türöffnung. Sie greift schnell zu dem Springmesser in ihrer Hosentasche, lächelt aber gleichzeitig höflich den fremden Mann an und windet sich aus seinem Griff. Es ist lange her, dass fremde Hände auf ihrer Schulter etwas Verlockendes, Lusterregendes an sich hatten. Aber der Mann hinter ihr gibt nicht so schnell auf, kaum ist sie ihm entwischt, liegt sein Arm schon wieder auf ihrer Schulter. Er umfasst sie leicht mit der rechten Hand und breitet den linken Arm aus, als sie über die Schwelle treten:
    »Das ist Susanne.«
    Im Raucherzimmer sitzt ein kleines Grüppchen. Zwei halb schlafende Männer aus dem Maschinenraum, jeder in einem Sessel. Sofia aus der Messe auf dem Schoß ihres ständigen Begleiters Martin in einem dritten. Ein paar junge amerikanische Doktoranden auf dem einen Sofa. Plus Vincent, der für die Reparaturen an der Maschine zuständig ist, ein alter Mann, weit übers Pensionsalter hinaus, in dem zweiten.
    »Hallo Susanne«, sagt er.
    Susanne nickt lächelnd, während sie ihren Blick über den Raum schweifen lässt. Hier drinnen ist sie bisher noch nicht gewesen, allein der Gestank hat sie schnell vorbeieilen lassen, aber jetzt ist das Fenster einen Spalt weit geöffnet und der Gestank zu einem Duft geworden. Einem richtig guten Duft. Und der Raum sieht gemütlich aus. Wohnlich. Vertraut. Bis auf die überquellenden Aschenbecher natürlich.
    »Move«, sagt der Mann an ihrer Seite zu den amerikanischen Doktoranden, und eilig rutschen sie zur Seite. Susanne lässt sich neben ihnen nieder und lächelt entschuldigend, der Mann hinter ihr zwängt sich neben sie, sodass sie gezwungen sind, noch ein Stück weiterzurutschen.
    »Wisst ihr, warum wir halten?«, möchte Susanne wissen.
    »Der Eislotse«, erklärt der Mann an ihrer Seite. »Er wird morgen an Bord kommen …«
    »Von Resolute«, fügt Martin hinzu.
    Susanne nickt schweigend. Der Mann neben ihr klopft eine Zigarette aus der Packung

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