Eis und Wasser, Wasser und Eis
auf.
»Mittagspause«, sagt er. »Vielleicht könntet ihr mit euren Gewaltausbrüchen bis nach dem Essen warten.«
Bernhard und Eduardo schauen sich um und werden sich plötzlich der Tatsache bewusst, dass sie nicht allein sind. Bernhard fährt sich schnell mit der Hand durchs Haar, Eduardo drückt sich die Kamera an die Brust. Beide schauen ein wenig betreten drein.
»Außerdem«, fährt Fredrik fort, »sieht es so aus, als würde der Nebel sich bald lichten.«
Und er hat recht. Kurz nach dem Mittagessen, als Susanne mit einem ureigenen Päckchen Marlboro in einer Hand und einem frisch erstandenen Feuerzeug in der anderen auftaucht, beginnt sich der Nebel tatsächlich zu lichten. Wind kommt auf. Die weißen Nebelschleier werden dünn wie Tüllgardinen und reißen auf, die Welt öffnet sich nach draußen. Das Wasser sieht aus wie gestern, dunkel und metallisch, aber die Schollen auf ihm sind weißer geworden. Bald wird man bis zur Insel sehen können.
Susanne hängt über der Reling, genießt mit der einen Hälfte ihres Ichs und versucht zu ignorieren, was in der anderen Hälfte vorgeht. Sie weiß ja, dass es lebensgefährlich ist zu rauchen, genau genommen weiß sie es mit jeder Zelle ihres Körpers, sie kann sogar erahnen, wie schmerzhaft es ist, am Rauchen zu sterben, dennoch genießt sie es. Sie nimmt einen tiefen Zug und schließt die Augen. Sie wird bald wieder aufhören. Sobald die Stange, die sie gekauft hat, zu Ende ist.
Als sie die Augen wieder öffnet, kann sie bis zur Insel sehen. Heute ist es dort dunkelgrau.
Ein paar Stunden später steigt der Hubschrauber von Resolute auf, und wieder einmal wird es voll auf dem Vorderdeck; Besatzung, Forscher und Gäste drängen sich an der Reling und beobachten, wie das, was aus der Entfernung aussah wie eine kleine Eintagsfliege, immer größere Gestalt annimmt und eine immer kräftigere rote Farbe bekommt. Sie drehen den Kopf gen Himmel, als es über sie hinwegfliegt, wie Kinder in einer früheren, an Flugobjekten armen Zeit, und sehen, wie es Sekunden später hinter dem sechsstöckigen Hochhaus der Oden verschwindet, um achtern auf dem Hubschrauberdeck zu landen.
Dann zieht es alle in die Messe. Der Nachmittagskaffee wartet.
»Warst du schon mal in diesen Gewässern?«, fragt Anders Ulrika, als sie in der Schlange stehen.
Sie dreht sich um und sieht ihn an, zuerst ein wenig überrascht, dann lächelnd.
»Ach, hallo!«
»Selber hallo. Und – warst du?«
Sie balanciert ihre Tasse an einen Tisch, bevor sie antwortet. Er folgt ihr. Als sie die Tasse auf den Tisch stellt, sieht er, dass sie am Mittelfinger der linken Hand einen dünnen Ring trägt. Mit einem kleinen blauen Stein. Bedeutet das, dass sie verheiratet ist?
Sie zieht den Stuhl heraus und schüttelt den Kopf.
»An anderen Punkten im Nördlichen Eismeer. Aber noch nie genau hier.«
»Und der Eislotse weiß, wohin man fahren muss?«
Sie lacht auf.
»Das glaube ich nicht. Nach allem, was ich gehört habe, ist seit fünf Jahren niemand mehr durch den Peel Sund gefahren. Und durch den Viscount Melville Sound nicht seit acht Jahren.«
Er nickt scheinbar zustimmend, während er sich an die Karte zu erinnern versucht.
»Ich dachte, das wäre bereits geklärt. Wer entscheidet, welche Route es wird?«
»Roland will durch den Viscount Melville Sound. Aber nur, um sich als Macho zu beweisen. Das Eis ist dort ziemlich dick. Wir werden sehen, was der Eislotse sagt. Wie geht es deinem Patienten?«
»Ich glaube, er schläft. Er ist heute Morgen in seine eigene Kabine gegangen, und seither habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Hm«, macht Ulrika. »Ich frage mich, ob sich jemand um seine Proben kümmert.«
»Keine Ahnung«, sagt Anders.
Der Eislotse taucht nach einer Viertelstunde auf. Roland begleitet ihn in die Messe, ausnahmsweise einmal in Schlips und Kragen unter dem blauen Uniformpullover und mit einem verbindlichen Lächeln. Der Eislotse ist ein großer, hagerer und sehr gepflegter Mann, nicht nur größer, sondern auch hagerer und gepflegter als Roland, und er setzt ein ebenso verbindliches Lächeln auf, während Roland Marias frisch gebackene Heißwecken empfiehlt. Eine schwedische Spezialität! Sehr gut. Anschließend lassen die beiden sich an einem Tisch voller Forscher und Gäste nieder, und das verbindliche Lächeln breitet sich über weitere vierzehn Gesichter aus. Gleichzeitig wechseln alle vom Schwedischen ins Englische, und neugierige Fragen beginnen auf den Neuankömmling
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