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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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einzuprasseln. Wie lange hat er auf Resolute gewartet? Und welche Route wird es nun? Peel Sound oder Viscount Melville Sound? Der schwere Weg oder der noch schwerere?
    »We’ll see« , sagt der Eislotse diplomatisch und beißt von der frisch gebackenen Wecke ab, nickt dann freundlich Roland zu. Er hatte recht. Das ist wirklich eine ungewöhnlich gute Heißwecke.
    Die Maschinen werden erst nach einigen weiteren Stunden Wartezeit angeworfen, während denen sich der Eislotse und Roland oben auf der Brücke über die Seekarte beugen und ihre Kräfte messen. Sie reden leise und ungemein höflich, aber ihr Lächeln verliert zunächst seine Verbindlichkeit und erlischt dann nach und nach ganz. Der Eislotse kann den Viscount Melville Sound wirklich nicht empfehlen. Es ist lange her, seit jemand dort gefahren ist, und damals war es, darauf muss er leider hinweisen, ein Atomeisbrecher. Niemand kann sagen, was passieren wird, wenn sich ein gewöhnlicher Eisbrecher dem Eis dort stellt. Er kann es natürlich nicht verbieten , dass die Oden diese Route einschlägt, aber wenn sie sich festfahren, dann ist es so, und die Kosten, um Leute und Schiff wieder zu befreien, sind beträchtlich …
    Roland seinerseits möchte nur darauf hinweisen, dass die Oden stärker ist als jeder andere nicht-atomgetriebene Eisbrecher und dass das Schiff zeitweise, wenn auch nicht immer, das muss er ebenfalls zugeben, aber bei mehreren Gelegenheiten damit überrascht hat, dass es sich durch das gröbste Eis durchkämpfen kann, nicht zuletzt um den Nordpol herum. Denn er hat doch schon erwähnt, dass die Oden viermal am Nordpol gewesen ist? Und dass man auf dieser Expedition hier das fünfte Mal vorbereitet?
    »Ja«, sagt der Eislotse. »Aber trotzdem … Das Eis im Viscount Melville Sound kann bis zu sieben Meter dick sein. Oder so.«
    »Hm«, macht Roland.
    Sie stehen reglos da, jeder eine Hand auf den Tisch gestützt. Über eine Minute lang herrscht Schweigen. Dann richtet Roland sich auf und lächelt ein schmales kleines Lächeln. Die Entscheidung ist getroffen. Es wird der Peel Sound.
    »Genau genommen«, sagt der Eislotse, wendet den Blick von Roland ab und schaut durch die riesigen Fenster der Brücke. »Genau genommen ist noch nie ein Schiff zu dieser Jahreszeit durch den Peel Sound gefahren.«
    »Well« , sagt Roland. »Dann hoffen wir, dass es gut geht.«
    Ein leichter Stoß geht durch das Schiff, als es sich bewegt, ein leichter Stoß, der in alle Richtungen als Startsignal fungiert. Ulrika beugt sich über den Frischwassereinlauf im Labor und justiert die Einstellungen. Anders säubert eine Schürfwunde bei einem der Männer im Maschinenraum und klebt ein Pflaster drauf. Vincent schaltet die Drehbank in seiner Werkstatt ein und macht einen ersten Versuch, eine Mutter zu kopieren. Fredrik befestigt einen gelb-schwarz gestreiften Stab an der Reling an Backbord, ein Stab, der den Abstand zum Eis messen soll. John schiebt einen Schlüssel ins Schloss seines Materialcontainers und öffnet die Tür mit einem leisen Lächeln, als wollte er den »Fisch« den beiden Doktoranden und den beiden Matrosen vorstellen, die helfen sollen, ihn an Deck zu schleppen. Keiner von ihnen erwidert das Lächeln, wortlos sind sie darauf konzentriert, das schwere Instrument in die richtige Lage zu bekommen. Es soll vor Mittag ins Meer, und bis dahin muss kontrolliert werden, ob die Elektronik auch so funktioniert, wie sie soll.
    Die Oden dreht ab und biegt in den Peel Sound ein. Hinter ihr verwandelt sich die schwarze Insel Resolute in eine graue Wolke, die sich schwer auf den Horizont senkt.
    Am nächsten Morgen ist die Oden endlich im Eis. In dem richtigen Eis, das Mitte Juli tief und schwer zwischen den Inseln liegt. Fünf Meter dick und ohne einen Riss. Fünf Meter dick und ohne Platz für die mächtigen Blöcke, die das Fahrzeug herausbricht und zur Seite zu schieben versucht.
    »Zäh«, sagt Roland bei der Morgenbesprechung und schaut in die Runde. »Eine ungewöhnliche Konsistenz. Wie Gummi.«
    Ulrika runzelt die Stirn.
    »Schwer zu brechen?«
    »Sehr schwer.«
    Einen Moment lang bleibt es still. Vor den Fenstern strahlt eine ansichtskartenschöne Winterlandschaft. Der Himmel ist hoch und blau, mit vereinzelten weißen Wölkchen, und das Eis darunter gibt sein Bestes, ihm nachzueifern, was jedoch nicht so recht gelingen will. Das wird fast zu einem Negativ: eine weiße Fläche mit blauen Seen von Schmelzwasser, wie ein weißer Eishimmel mit blauen

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