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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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reden. Sie lächelt ihr Spiegelbild an. Endlich. Sie kann arbeiten. Sie muss arbeiten.
    Mit einer hastigen Bewegung zieht sie das Gummiband ab, das ihren Pferdeschwanz hält, und schüttelt ihr Haar. Eine Zehntelsekunde lang meint sie Elsies Gesicht im Spiegel erahnen zu können – die gleichen Farben, die gleiche Falte zwischen den Augenbrauen, der gleiche schmale Blick –, bevor sie sich umdreht, um an den Schreibtisch zu gehen.
    Sie hält mitten im Schritt inne. Es dauert eine Weile, bis sie begreift, was sie sieht. Da liegt etwas in der Koje. Ein Frauenkörper ohne Frau.
    Ein Paar dunkelblaue Socken, ordentlich in beide Richtungen zeigend.
    Ein weißer Baumwollslip darüber.
    Ein weißer BH, die Körbchen mit etwas ebenso Weißem ausgefüllt, Servietten vielleicht oder Toilettenpapier …
    Ein stramm zugezogener Gürtel, dort, wo der Hals sein sollte.
    Und ein Gesicht, grob auf das Kopfkissen gezeichnet. Ein Comicgesicht mit schwarzen Kreuzen statt der Augen und einem dunkelroten, weit aufgerissenen Mund.
    Wieder ist jemand in ihrer Kajüte gewesen. Aber dieses Mal hat er keinen Geruch hinterlassen.

Ein Wintertag
     

Die Bilder der Nacht bewegten sich immer noch hinter seinen Augenlidern: Ein blondes Mädchen lief einen Weg entlang, hinter ihm stieß ein schwarzer Vogel herab, und aus dem Nirgendwo stieg das Wort »Nirgendwo« auf und verwirrte ihn. Er musste sich mit der Hand über die Augen fahren, um die Bilder zu verscheuchen, als er sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche gezogen hatte.
    »Alles in Ordnung?«, fragte der Taxifahrer.
    »Ist schon okay«, sagte Björn. »Ich bin nur noch nicht richtig wach.«
    Ein blondes Mädchen lief einen … Er kniff die Augen zusammen und öffnete sie wieder. Lächelte ein wenig, zwang sich, das zu sehen, was er wirklich sah. Straßenlaternen. Die SofiaAlbertina-Kirche, die hinter dem Schneeregen zu erahnen war. Ein dicker Mann in schwarzer Lederjacke, der leicht mit den Schultern zuckte, während er nach Wechselgeld in seinem Portemonnaie suchte.
    »Ja. Scheiße, nee. Um diese Uhrzeit würde man lieber schön im Bett liegen …«
    Björn verscheuchte den schwarzen Vogel und zwang sich zu einer Antwort.
    »Aber das geht bestimmt vorbei.«
    »Ja«, sagte der Taxifahrer und reichte ihm das Wechselgeld. »Wird wohl so sein. Na dann.«
    Das Haar war nach dem Duschen noch nicht wieder trocken, die Feuchtigkeit lag wie ein kalter Helm über der Kopfhaut. Das Wort Nirgendwo segelte vorbei, aber er ließ sich nicht von ihm einfangen und verwirren, zog lieber die Kapuze hoch, während das Taxi anfuhr und verschwand, und schaute dann auf den Hafen. Die Fähre lag am Kai, sie hatte die ganze Nacht schon dort gelegen, aber bis jetzt waren noch keine Passagiere an Bord gelassen worden. Sie standen in einer kleinen Schlange, eine Gruppe frierender Männer mit hochgeschlagenen Kragen. Er beobachtete sie einen Moment lang, aber nein, da bestand keine Gefahr. Keiner von ihnen würde ihn wiedererkennen, also beugte er sich nach unten, packte seine Tasche und ging auf sie zu. Niemand drehte sich um. Niemand sah ihn an. Er stellte sich hinten an, schob die Hände tief in die Taschen des Dufflecoats, stand reglos wie die anderen da und starrte in die Dunkelheit. Genoss es, niemand zu sein. Genoss es, dabei zu wissen, dass er kein Niemand war. Er war der Sänger der Typhoons und so sehr ein Star, wie es in Schweden nur möglich war. Und jetzt würde er die Fähre über den Sund nehmen und dann ein Taxi nach Kastrup. Er hätte bereits eingecheckt und wäre bereit, wenn die anderen Jungs mit dem Flugzeug aus Stockholm landeten.
    Ein blondes Mädchen lief einen Weg entlang, ein schwarzer Vogel stieß hinter ihr herab, und aus dem Nirgendwo stieg das Wort Nirgendwo auf und verwirrte ihn. Er schüttelte den Kopf, um diese Bilder zu vertreiben, und schniefte dann kurz, um sich selbst daran zu erinnern, dass er wach war, dass er bereits seit über einer Dreiviertelstunde wach war. Warum konnte er diesen Traum trotzdem nicht abschüttelen? Wovon handelte er?
    Er suchte in seinen Taschen nach den Zigaretten und drehte sich halb zur Seite, schützte die Flamme des Feuerzeugs mit seiner hohlen Hand. Vielleicht hatte es mit dem Text zu tun, diesem Text, den er bereits so oft gesungen hatte und den er an diesem Abend im englischen Fernsehen singen sollte. Er bewegte tonlos die Lippen: Once there was a girl that I … Lampenfieber durchschoss ihn. Und wenn er jetzt alles verpatzte? Wenn er plötzlich

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