Eisberg
Kelly tatsächlich glücken, uns in eine bessere Zukunft zu führen. Doch im Augenblick ist er nichts weiter als der Anführer einer Bande von Wahnsinnigen, der um ein Haar dreißig Menschen ermordet hätte. Und in genau zehn Stunden will er zwei Regierungschefs umbringen. Unsere Strategie verfolgt ein ganz einfaches Ziel: Wir müssen ihn aufhalten. Und Major Pitt ist der einzige, der physisch in der Lage ist, Kellys Berufskiller zu identifizieren.«
Sandecker warf die Papiere auf den Schreibtisch. »Physisch dazu in der Lage! Sie besitzen keinen Funken menschlichen Empfindens!« Er sprang aus seinem Stuhl auf und lief im Zimmer hin und her. »Sie verlangen von mir, daß ich einem Mann, der wie ein Sohn zu mir war, einem Mann, der nur um Haaresbreite dem Tod entkommen ist – daß ich diesem Mann befehle, er soll von seinem Krankenbett aufstehen und zehntausend Kilometer von hier eine Bande von gemeinen Killern zur Strecke bringen?« Sandecker schüttelte den Kopf. »Sie wissen überhaupt nicht, was Sie da verlangen. Auch die Ausdauer eines Mannes hat Grenzen. Major Dirk Pitt hat bereits jetzt schon Unmögliches geleistet.«
»Ich gebe Ihnen recht: Pitt hat phantastische Arbeit geleistet. Ich glaube, nicht einer meiner Leute hätte diese Rettung bewerkstelligt.«
»Vielleicht streiten wir uns sowieso um Kaisers Bart«, gab Sandecker zu bedenken.
»Möglicherweise ist Pitt gar nicht imstande, das Krankenhaus zu verlassen.«
»Ich glaube, Ihre Befürchtung – oder sollte ich sagen: Hoffnung? – ist gegenstandslos.« Der Glatzkopf blätterte in einem braunen Aktenordner. »Ich habe hier einen Bericht meiner Agenten, die Ihren Major ein bißchen im Auge behalten haben.« Er machte eine Pause, las und fuhr dann fort: »Eine Konstitution wie ein Stier und lebhafte Beziehungen zu den … äh … Krankenschwestern. Er hat vierzehn Stunden geschlafen und ist nach allen Regeln der Kunst ärztlich versorgt worden. Man hat ihm Vitaminspritzen und Aufbaumittel gegeben. Die besten Ärzte Islands haben ihn genäht, massiert und verbunden. Glücklicherweise sind nur seine Rippen ernsthaft angeknackst, und auch da hält sich der Schaden in Grenzen. Aber selbst wenn er schon fast auf dem Totenbett läge – ich könnte nicht auf ihn verzichten!«
Sandeckers Gesicht war zu Eis erstarrt. Er wandte sich um, als eine der Konsulatssekretärinnen den Kopf zur Tür hereinstreckte.
»Major Pitt ist hier, Sir.«
Sandecker funkelte den dicken Mann an. Er fühlte sich überrumpelt. »Sie Bastard, Sie haben die ganze Zeit über gewußt, daß er es tun würde!«
Der Dicke zuckte die Achseln und erwiderte nichts.
Sandecker reckte sich. Er sah seinen Besucher wütend an. »Okay, schicken Sie ihn herein!« sagte er zur Sekretärin.
Pitt kam und schloß die Tür hinter sich. Er ging steifbeinig durch das Zimmer auf ein unbesetztes Sofa zu und ließ sich langsam in die weichen Polster sinken. Sein ganzes Gesicht war mit Verbänden umwickelt; nur die Löcher, die man für Augen, Nase und Mund freigelassen hatte, und das Büschel schwarzer Haare auf dem Schädel deuteten darauf hin, daß unter den weißen Gazebinden noch Leben steckte. Sandecker versuchte, Pitt mit seinem Blick zu durchbohren.
Doch in den tiefgrünen Augen des Majors zeigte sich kein Zucken und kein Zwinkern.
Sandecker ließ sich hinter dem Schreibtisch nieder und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Wissen die Ärzte, wo Sie sind?«
Pitt lächelte. »Ich glaube, in einer halben Stunde werden sie danach fragen.«
»Sie sind diesem Herrn vermutlich schon begegnet?« Sandecker deutete auf den Dicken.
»Wir haben miteinander telefoniert«, antwortete Pitt. »Aber man hat uns noch nicht förmlich miteinander bekanntgemacht … jedenfalls noch nicht unter unseren richtigen Namen.«
Der Dicke kam schnell um den Schreibtisch herum und streckte Pitt seine Hand hin.
»Kippmann, Dean Kippmann.«
Pitt ergriff die Hand. Völlig unerwartet war nichts an diesem Händedruck weich oder schwammig. »Dean Kippmann«, wiederholte Pitt. »Der Boss der National Intelligence Agency. Nichts ist so beglückend wie der Umgang mit hochgestellten Persönlichkeiten.«
»Wir sind Ihnen für Ihre Hilfe aufrichtig dankbar«, erklärte Kippmann herzlich. »Fühlen Sie sich fit genug für eine kleine Flugreise?«
»Nach Island könnte ein bißchen südamerikanische Sonne nicht schaden.«
»Sie werden diese Sonne gewiß genießen.« Kippmann strich sich wieder über seine Glatze.
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