Eisberg
Beweggründen heraus.« Er ließ seinen Blick über die Gesichter jenseits des Kamins schweifen. In allen spiegelte sich ungläubige Betroffenheit.
»Ich bin F. James Kelly«, fuhr Kelly mit sanfter Stimme fort. »Ich habe während meines Lebens zwei Milliarden Dollar gemacht.«
Keiner der Anwesenden bezweifelte das. Sooft das
Wall Street Journal
eine Liste der hundert reichsten Männer der Welt veröffentlichte, fand sich Kellys Name in der Spitzengruppe. Der Milliardär sprach weiter: »Reich zu sein heißt auch, eine große Verantwortung zu tragen.
Nicht weniger als zweihunderttausend Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt durch mich. Wenn ich morgen Bankrott anmelden müßte, hätte das eine Rezession zur Folge, die ganz Amerika von der Ost- bis zur Westküste in Mitleidenschaft zöge, von den vielen Ländern, deren Wirtschaft in hohem Maße von meinen Tochtergesellschaften abhängt, ganz zu schweigen. Doch – diese Herren an meiner Seite können das bestätigen – Reichtum ist keine Garantie für Unsterblichkeit. Nur einzelne reiche Männer haben sich in den Annalen der Geschichte verewigt.«
Kelly machte eine Pause. Er sah direkt elend aus. In dem Raum herrschte Totenstille. Dann fuhr er fort: »Vor zwei Jahren begann ich darüber nachzudenken, was ich zurücklassen würde, wenn ich einmal von der Bühne des Lebens abträte: Ein Wirtschaftsimperium, um das sich schmarotzende Teilhaber und Verwandte streiten würden, die heute schon die Tage bis zu meinem Ableben zählen. Sie können mir glauben, meine Herren, daß das eine ziemlich trostlose Aussicht war. Also dachte ich über Wege und Möglichkeiten nach, mein Vermögen auf eine der Menschheit nützliche Art anzulegen. Doch wie sollte ich das anstellen? Andrew Carnegie baute Bibliotheken, John D. Rockefeller gründete Stiftungen für Wissenschaft und Bildung. Was würde den Völkern der Welt, gleichgültig ob weißer, schwarzer, brauner, gelber oder roter Hautfarbe, den größten Segen bringen? Ungeachtet ihrer Nationalität? Hätte ich nur auf die Stimme meines Herzens gehört, wäre mir die Entscheidung nicht schwergefallen: Ich hätte mit meinem Geld die Krebsforschung, das Rote Kreuz, die Heilsarmee, irgendeines der tausend medizinischen Institute im Lande oder eine Universität bedacht. Doch war das wirklich genug? Es schien mir eine zu einfache Lösung. Ich entschied mich deshalb für etwas anderes – für ein Unternehmen, von dem Jahrhunderte lang Millionen von Menschen profitieren würden.«
»Und so sind Sie auf die Idee gekommen, sich mit ihrem Geld zum Messias der mit Armut geschlagenen lateinamerikanischen Völker zu ernennen?« fragte Pitt.
Kelly lächelte den Major herablassend an. »Sie irren sich gewaltig, Major – äh –«
»Pitt«, half ihm Rondheim aus. »Major Dirk Pitt.«
Kelly schaute Pitt gedankenvoll an. »Sind Sie mit Senator George Pitt verwandt?«
»Sein verlorener Sohn«, bestätigte ihm Pitt.
Kelly schien einen Moment lang wie vom Donner gerührt. Er wandte sich um zu Rondheim, doch dieser sah ihn nur kalt an. »Ihr Vater ist ein guter Freund von mir«, sagte Kelly dumpf.
»War«, entgegnete Pitt kalt.
Kelly wahrte mit Mühe seine Fassung. Es war offensichtlich: sein Gewissen setzte ihm hart zu. Er mußte sich erst wieder sammeln, ehe er mühsam fortfuhr: »Es war nie meine Absicht, Schicksal zu spielen. Welchen Weg ich auch wählte, die Entscheidung wurde mir von einer Instanz abgenommen, die sehr viel exakter ist und sehr viel weniger von Gefühlen geleitet wird als das menschliche Gehirn.«
»Computer!« entfuhr es Kellys älterem Freund. »Eremit Ltd. war das Programm, mit dem du vor zwei Jahren die Computer unserer EDV-Abteilung gefüttert hast. Ich kann mich jetzt gut daran erinnern, James. Du hast den gesamten Komplex drei Monate lang stillgelegt und in einem Anfall von Großzügigkeit, wie du sie weder vorher noch nachher je wieder an den Tag gelegt hast, jedermann bezahlten Urlaub gegeben. Und das alles unter dem Vorwand, du hättest die Anlage der Regierung für ein militärisches Projekt der höchsten Geheimhaltungsstufe zur Verfügung gestellt.«
»Ich habe selbst dann noch befürchtet, du könntest meine Pläne durchschauen, Sam.« Zum erstenmal redete Kelly den alten Herrn mit seinem Namen an. »Aber eine genaue Systemanalyse konnte mir die einzig brauchbare Lösung für die Aufgabe liefern, die ich mir selbst gestellt hatte. Ein epochemachender Einfall war das nicht. Jede Regierung hat ihre
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