Eisberg
Volkswirtschaftslehre hat genügend Lösungen parat. Wir fangen mit einem verarmten Land an, gewinnen die Kontrolle über seine Schlüsselindustrien, entmachten die wichtigsten Führungskräfte und kaufen es auf.«
»Du wirst poetisch, James«, mischte sich der alte Mann ein. »Du wirst es etwas geschickter anstellen müssen.«
»Eben in der Einfachheit liegt der Erfolg begründet, Sam. Nimm zum Beispiel Bolivien. Ein Land, dessen Bevölkerung am Verhungern ist … das Jahreseinkommen einer Familie liegt bei nicht einmal fünfzig Dollar. Seine ganze Wirtschaft hängt von den Kupferminen in Peroza ab. Wer die Minen kontrolliert, hat das ganze Land in der Hand.«
»Man darf annehmen, daß die bolivianische Armee bei einem von ausländischen Interessenten inszenierten Machtwechsel ein Wörtchen mitzureden hat«, sagte Pitt und schenkte sich sein Glas voll Cognac ein.
»Ganz recht, Major Pitt.« Kelly lächelte, dann fuhr er mit Nachdruck fort: »Aber Armeen müssen bezahlt werden. Jede Armee ist deshalb auch käuflich. Und wenn sie sich nicht kaufen läßt, wird sie einfach ausgeschaltet. Auch das ist ein geschäftliches Prinzip. Will man eine leistungsfähigere Organisation aufbauen, muß man alten Ballast über Bord werfen.« Er machte eine Pause und strich sich den Bart. »Nachdem Eremit Ltd. die Regierungsgeschäfte übernommen hat, wird die Armee einfach aufgelöst. Sie stellt ohnehin nur eine Belastung für die Wirtschaft dar. Eine Armee ist so etwas wie ein Unternehmen, das in den roten Zahlen steckt. Die nächstliegende Lösung ist, das Unternehmen wegen Vergeudung von Steuergeldern zu schließen.«
»Hast du das Volk vergessen, James?« Der Einwand kam von Sam. »Erwartest du wirklich, daß es tatenlos zusieht, wie du das Land auf den Kopf stellst?«
»Wie jedes gesunde Unternehmen, haben wir eine Werbe- und Marketingabteilung. Wir haben eine detaillierte Werbekampagne ausgearbeitet, wie für ein neues Produkt, das auf den Markt kommt. Die Leute können nur das wissen, was sie durch die Medien erfahren. Einer unserer ersten Schritte war es, alle vorhandenen Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen aufzukaufen – natürlich durch einen einheimischen Strohmann.«
Pitt sagte: »Ich vermute, daß eine freie Presse für Ihr Shangri-La nicht vorgesehen ist?«
»Eine freie Presse ist nur die Folge eines Mangels an festen Wertvorstellungen«, erwiderte Kelly ungeduldig. »Sehen Sie doch, wohin die freie Presse die Vereinigten Staaten gebracht hat! Es wird alles gedruckt, wenn es nur schmutzig, skandalös und sensationell genug ist. Man kennt keine Bedenken, wenn es darum geht, mehr Papier zu verkaufen, um mehr Anzeigenaufträge zu erhalten. Die sogenannte freie Presse hat in einer einst großen Nation jedes Gefühl für Moral erstickt und nichts als einen großen Müllhaufen hinterlassen.«
»Gewiß, die amerikanische Presse ist nicht vollkommen«, meinte Pitt. »Aber sie bemüht sich wenigstens, der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen und Leute Ihrer Sorte bloßzustellen.«
Pitt biß sich auf die Zähne. Beinahe wäre er aus seiner Rolle gefallen. Er wußte, wenn es auch nur eine hauchdünne Fluchtchance gab, dann bestand sie darin, daß er weiterhin den Schwulen spielte und nicht den harten Gegner herauskehrte. Aber es fiel ihm schwer, sich zu beherrschen.
Verwirrt runzelte Kelly die Stirn. Er blickte abermals zu Rondheim hinüber. Seine stumme Frage wurde von einem angewiderten Schulterzucken beantwortet.
Der alte Mann, den Kelly Sam genannt hatte, brach das Schweigen. »Angenommen, du hast ein Land aufgekauft, James. Wie willst du dann den Rest in den Griff bekommen? Selbst ihr, du und deine Teilhaber, habt nicht das Kapital, um die Wirtschaft eines ganzen Kontinents zu beherrschen.«
»Richtig, Sam. Sogar wir schaffen das nicht. Aber wir können beispielsweise Bolivien in ein geordnetes und wohlhabendes Land verwandeln. Versuch dir das einmal vorzustellen: eine Verwaltung ohne Korruption, die Armee bis auf eine kleine Eingreifreserve abgeschafft, Landwirtschaft und Industrie ganz darauf ausgerichtet, den Verbrauchern das Leben zu erleichtern …« Kelly begann richtig zu schwärmen. »Das ist ein anderes Geschäftsprinzip:
Jeder Dollar, jeder Cent wird für das weitere Wirtschaftswachstum aufgewendet, jeder Verdienst wird reinvestiert. Wenn Bolivien dann zum Prototyp unserer Utopias geworden ist, wenn alle Völker des Kontinents neidisch auf unser Land blicken, werden wir sie uns eins nach dem
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