Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
zwei Männer in schwarzen Ledermänteln, die sie in ein Bibliothekszimmer führten, das ihr wohl riesig vorkam. Die Hausbewohner bekam sie nicht zu Gesicht. Meine Mutter machte dort eine Liste für Unmengen von Büchern, die die Männer auf viele Stapel gelegt hatten. Auch später bekam sie noch öfter handschriftliche Listen nach Hause gebracht, die sie abzutippen hatte. Sie freute sich immer, wenn es ihr gelungen war, eine Notiz in besonders fürchterlicher Handschrift zu lesen. Und nie hat sie etwas verspätet abgegeben«, fügte er stolz hinzu. »Wenn sie mit dem Abschreiben fertig war, hatte sie dann den großen Tisch im Wohnzimmer abgeräumt und mit Zeitungspapier ausgelegt.«
Judith Brunner dachte kurz daran, dass so ein Tisch bei der Hausdurchsuchung nicht mehr vorhanden war.
»Dann legte meine Mutter die Bögen Schreibpapier in der richtigen Reihenfolge nebeneinander und, ach ja, das Kohlepapier musste besonders vorsichtig behandelt werden.«
Da Dampmann hier eine Pause machte und offenbar in die Schilderungen seiner Mutter vertieft war, musste Dr. Grede nachfragen: »Warum?«
»Na wegen dem Abfärben, deshalb hatte sie ja auch das Zeitungspapier ausgelegt, und die Kohleblätter mussten genau stimmen, denn meine Mutter musste alle wieder mit abgeben.«
»Sie hat also Durchschläge gefertigt, ja?«
»Ja, zwei sogar. Das wurde so gebraucht. Und wenn montags alles abzuliefern war, dann hat sie auch das Kohlepapier abgeben müssen. Genau so hat sie es mir erzählt.«
Judith Brunner wunderte sich. »Warum freuen Sie sich so?«
Dampmann sah plötzlich aus, als wäre ihm ein besonderer Coup geglückt. Schmunzelnd antwortete er: »Sie hatte heimlich einen behalten.«
»Was?!«
»Ja, da staunen Sie. Einen Durchschlag hatte sie jeweils für sich behalten. Diese Listen habe ich damals nach ihrem Tod in der braunen, glänzenden Mappe gefunden. Erst habe ich kaum etwas davon verstanden. Die Wörter waren sehr kompliziert und es gab viele Abkürzungen. Doch dann erinnerte ich mich an ihre Geschichte von der großen Bibliothek und ahnte plötzlich, was ich in den Händen hielt. Meistens standen Preise neben den Buchtiteln, und dass dort manchmal sehr hohe Beträge in Reichsmark standen, das konnte ich schon erkennen. Ich machte mir einen Spaß daraus zusammenzurechnen, für wie viel Geld meine Mutter in einer Nacht Bücher aufgeschrieben hatte. Und eigentlich war es immer dasselbe Schema: Name, Vorname. Dann meistens Israel oder seltener Sara. Ich erinnerte mich daran, dass meine Mutter mir gesagt hatte, die Männer in den Ledermänteln hätten sie ermahnt, immer diese Namen dazuzusetzen.«
Er sagte das mit einer Abgeklärtheit, als ginge es um Wasserstände und Tauchtiefen. Er schien wirklich nicht zu ermessen, wovon seine Mutter ihm da berichtet hatte. »Und weiter?«
»Ich habe dem Bruno die Listen gezeigt, ihm von der Arbeit meiner Mutter erzählt und ihm auch gesagt, dass er mit niemandem darüber reden darf. Das hatte ich ihr ja damals fest versprechen müssen. Bruno wurde ganz nachdenklich, als er die Seiten durchlas, und meinte, dass alte Bücher ja eine Menge wert sein können. Aber ...«
»Ja, Herr Dampmann?«
»Na, er meinte nicht unbedingt die auf der alten Liste benannten Bücher, wie mir dann klar wurde. Er hatte wohl woanders welche entdeckt.«
»In der Stadtbibliothek, das wissen wir, Herr Dampmann, Sie müssen das nicht verschweigen.«
»Ach ja? Stimmt. Also dort gab es eine Menge guter Bücher zu holen und keiner hat was gemerkt.«
Judith Brunner reichte das nicht. »Kommen Sie, bleiben Sie bei der Wahrheit.«
Hartmut Dampmann gab zu: »Ich habe bei meinen Touren auch das eine oder andere, hm, gefunden.«
»Das klären wir später noch im Detail. Weiter bitte.«
»Na, der Rest ist einfach. Über seine Wetterkorrespondenz hatte Bruno Kontakte zu allen möglichen Leuten, fand so die Kundschaft und ich habe eben den Versand geregelt, wenn das über die Post möglich war.«
»Und wenn nicht? Und wie kamen Sie an das Geld?«
»Dann musste die Kundschaft eben hierher kommen.«
Judith war gespannt. »Zum Beispiel?«
»Was meinen Sie?«
»Welche Kunden hatten Sie, Herr Dampmann?«
»Alle? Keine Ahnung. Da hatte der Bruno die Unterlagen.«
»Ein paar werden Sie wohl auch kennen.«
»Na, alle möglichen Leute. Professoren, Ärzte, Anwälte, Künstler, aber auch Leute, die wussten, wie Bruno immer sagte, dass Bücher eine gute Zweitwährung waren, wenn sich die Interessen trafen. Sie
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