Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
wegen des geplatzten Termins und nun muss er auch noch fürchten, dass seine Schiebereien auffliegen. Er plant, Wolff bei nächster Gelegenheit – in Wiepke am Teich – zu erschlagen und zu entsorgen. Er ermordet den Mann, ist sich dann aber nicht sicher, ob der Teich dort auch schnell genug zufriert. Er nimmt ihn also mit nach Waldau, weil er hinsichtlich des dortigen Teichs überzeugt ist. Michaelis muss den Leichnam aber zunächst verstecken, weil er keine Zeit mehr hat, sofort die Leiche zu beseitigen. Sein Bruder wartet nämlich inzwischen dringend auf das Dienstfahrzeug und außerdem könnten noch Leute unterwegs sein.«
Judith konnte diesen Gedanken gut folgen. Sie hatte eine weitere Variante parat: »Oder Michaelis wollte tatsächlich eine bitterkalte Nacht abwarten und hatte damit auf ein rascheres Zufrieren des Loches im Teich spekuliert. Mit dem Wetter kannte er sich ja aus.«
»Kann auch sein. Er legt die Leiche also vorerst in ein leeres Haus und Wolff gefriert.«
Judith nickte – jedoch nicht vollends überzeugt. »Möglich. Obwohl, welche Bücher rechtfertigen einen Mord? Woher kennt Michaelis sich in Waldau so gut aus? Warum bemerkt keiner das Postauto? Und dann ist da noch die Tatsache, dass das Häuschen neben der Familie Bauer kein wirklich gutes Versteck für eine Leiche ist. Abgesehen von all diesen Fragen bleibt ein großes Problem: Wolff und Michaelis wiesen dieselben Schnitte auf. Ich spekuliere mal, morgen wird uns Dr. Renz auch mitteilen, dass Michaelis zunächst erschlagen wurde. Ich tippe also auf ein und denselben Mörder für beide Opfer.«
»Und das könnte durchaus diese dritte Person sein, die Michaelis angedeutet hatte.«
Summend verließ Dr. Grede das Büro seiner Vorgesetzten.
»Vielleicht. Wir suchen also weiter«, rief sie ihm freundlich nach.
~ 55 ~
In Waldau angekommen, stellte Judith Brunner beim Betreten des Hauses entzückt fest, dass es aus der Küche verführerisch duftete.
Laura hatte sich den Nachmittag über an den Spritzkuchen versucht. Augenscheinlich war sie ein Naturtalent. Zwei große Schüsseln, voll mit den kleinen Backwerken, standen auf dem Tisch und ein Aroma von Zitrone und Rum lockte zum Zugreifen.
»Probieren Sie bitte«, forderte Laura ihren Gast auf, »ich bin ganz stolz, dass mir das auf Anhieb gelungen ist.«
»Das können Sie auch sein, Laura, die sind köstlich«, lobte Judith nicht uneigennützig und griff erneut zu, »ohne Übertreibung – es schmeckt herrlich!«
»Das liegt an der Glasur. Ich habe außer der Zitrone noch etwas Rum zum Zuckerguss gegeben.«
»Gute Idee«, vermochte Judith zwischen zwei weiteren Spritzkuchen hervorzubringen.
Laura freute sich über das geglückte Backvorhaben und fragte Judith nach einem Abendbrot.
»Ich habe allerdings schon gegessen«, fügte sie noch hinzu.
Doch Judith wollte erst einmal unter die Dusche und sich etwas Bequemes anziehen. Dann machte sie sich eingedenk der Nascherei nur rasch ein belegtes Käsebrot zurecht und setzte sich zur Hausherrin ins Wohnzimmer.
Laura legte einen alten, illustrierten »Altmärkischen Hausfreund« beiseite, in dem sie interessiert gelesen hatte. Sie hatte eine ganze Sammlung dieser Hefte von ihren Großeltern geerbt. Die jährliche Neuerscheinung in der Weihnachtszeit wurde immer gespannt erwartet und zumeist waren sie auch vom Inhalt angetan gewesen. Es gab wohl in ganz Waldau, vielleicht sogar in der ganzen Altmark, keinen Haushalt, in dem nicht einige dieser Hefte herumlagen.
Laura fragte: »Ich habe Malzbier da, möchten Sie eine Flasche? Das passt gut zu dem Essen.«
»Nur, wenn Sie auch eines trinken.«
»Gut, dann hole ich ein paar Flaschen aus dem Keller.«
»Danke, mir reicht wirklich eine.« Judith spürte die Anstrengungen des langen Tages.
»Walter Dreyer kommt gleich noch vorbei. Er will Ihnen was mitgeben«, informierte Laura Judith, »und er trinkt vielleicht auch eine Flasche mit.«
Der Keller lag unter Lauras Schlafstube, die deswegen auf einem etwas höheren Niveau als der Hausflur lag. Der Höhenunterschied wurde durch eine flache Treppe mit vier Stufen, die zugleich eine Kellertür war, ausgeglichen. Laura hob die stabile Holzkonstruktion mühelos hoch und befestigte sie mit einem Haken an der Wand. Dann drehte sie den Lichtschalter. Nach unten hinab führte eine roh gezimmerte, steile Holztreppe, deren breite Bretterstufen zumindest für Geübte eine sichere Rückkehr aus dem Keller versprachen, selbst mit beladenen
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