Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
sich nicht enthalten zu bemerken, »aber ich ahne, was Sie sagen wollen.«
Plötzlich richtete sich Dampmann auf. »Es sei denn ...«
»Ja?«
»Der Bruno machte vor ein paar Wochen so eine Bemerkung. Wir hatten uns ein wenig in den Haaren, weil die Bücher irgendwie immer weniger Geld einbrachten. Ich bekam nur noch ... na eben weniger. Und da meinte Bruno, er könne auch nichts dafür, er hätte neuerdings noch jemanden am Hals.«
»Am Hals? Wie meinte er das denn?«
»Er ging nicht weiter darauf ein, dennoch hatte ich den Eindruck, als wären wir irgendwie zu dritt.«
Der unbekannte Dritte? Fast hätte Judith lächeln müssen. »Wir werden die Dinge überprüfen. Sie bleiben vorläufig in Haft, Herr Dampmann.«
~ 54 ~
Das lange und intensive Verhör hatte Judith Brunner angestrengt. In der Bezirksbehörde waren sie bei solchen Vernehmungen immer mehrere Leute gewesen und hatten sich bei Bedarf abwechseln können. Sie war froh, wenigstens Dr. Grede dabei gehabt zu haben, wenn auch nur als Beobachter.
Dr. Grede hatte zwei Becher Tee aufgebrüht und viel Zucker hineingerührt. Nun saßen sie in Judiths Büro. Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Da sie nicht im grellen Neonröhrenlicht sitzen wollte, hatte Judith lediglich ihre Schreibtischlampe angeknipst. Die spendete zwar nur wenig, dafür aber etwas behaglicheres Licht. Sie beleuchtete die Schneeglöckchen und außerdem war auf diese Weise vom grässlichen Rest des Büros wenig zu erkennen. Die Heizkörper rauschten vernehmlich vor sich hin und über den Büroflur erreichten sie, wie von ferne, ab und zu Trittgeräusche oder Feierabendgrüße der Mitarbeiter. Schweigend genossen Judith und Dr. Grede den starken, süßen Tee und hingen ihren Gedanken nach.
Was sie von Dampmann zu hören bekommen hatten, erschien nur zum Teil schlüssig, obwohl er in seiner Bestürzung wahrhaftig gewirkt hatte.
»Das mit dem Bücherklau und dem Schwarzhandel, das leuchtet mir ein. Nichtsdestotrotz sind wir mit den Morden an sich noch nicht viel weiter«, resümierte Grede, klang aber nicht unzufrieden. »Ich habe Ritter gleich angewiesen, sich das Postauto noch mal gründlich vorzunehmen. Die Handschuhe könnten also auch von Michaelis stammen, dann wäre er der Mörder. Er hat sie einfach im Auto liegen gelassen, nachdem er Wolff versenkt hatte. Mit der Krankenhausgeschichte hat Michaelis seinem Bruder offensichtlich einen Bären aufgebunden.«
»Mag alles sein. Wir wissen noch zu wenig«, war sich Judith Brunner sicher.
»Dass sie Halbbrüder sind, könnte stimmen. Das Leben liebt solche Geschichten. Die Verwandtschaft ist sicher auch nachzuweisen. Aber der dritte Mann? Das ist schon wieder starker Tobak.«
Judith stimmte dem zu: »Der große Unbekannte führt seit Ewigkeiten die Liste der beliebtesten Ausreden bei Verhören an. Wahrscheinlich wird sich das auch nie ändern. Ein dritter Mann ist einfach praktisch.«
»Richtig.« Dr. Grede lächelte verhalten und begann dann, leise die berühmte Zithermelodie zu summen.
In diesem Moment, als sie hier mit ihrem summenden Stellvertreter saß, im schummrigen Licht, Tee trinkend, und mit ihm zwanglos Gedanken austauschte, erahnte Judith zum ersten Mal die Möglichkeit, dass ihr die neue Position über diesen Fall hinaus eine berufliche Perspektive geben könnte. Es war ein gutes Gefühl und sie lächelte. »Sie haben musikalisches Talent.«
Grede grinste und ging nicht weiter darauf ein. »Dampmann fehlt jegliches Motiv, seinen Halbbruder zu ermorden. Wenn wir das akzeptieren, fehlt für die anderen Taten erst recht ein Motiv.«
»Ich fürchte, für den Mord an Michaelis hat er sogar ein Alibi«, meinte Judith, um auf Gredes fragenden Blick zu ergänzen: »Morgen früh macht Dr. Renz die Autopsie. Was ist, wenn er feststellt, dass Michaelis gestern ermordet wurde? Da hatten wir Dampmann schon hier.«
Dr. Grede überlegte neu: »Gehen wir doch mal davon aus, dass Michaelis Wolff ermordet hat. Wolff wird also in das Postauto gehievt und versucht dort, es sich in dem Fahrzeug bequem zu machen, so gut es mit seinen Verletzungen eben ging. Sicher hat er Schmerzen. Vielleicht blutet er und möchte auch sonst nichts verdrecken, also schaut er sich im Wagen vorsichtig um. Dabei entdeckte er die wertvollen alten Bücher, die Michaelis runtergefallen waren und die der verärgert einfach ins Auto geworfen hatte. Er fragt ihn arglos danach. Damit war sein Schicksal besiegelt. Michaelis ist ohnehin gestresst
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