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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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schuldig. In diesem Punkt gab Anna Manuela
recht.
    Christian nahm die Tagebuchkopien aus dem dicken Umschlag und las
eine Notiz von Eberhard, in der er darauf hinwies, dass Uta das Tagebuch kurz
vor ihrem Abi begonnen hatte und die Eintragungen sehr sporadisch seien und
große Zeitsprünge aufwiesen. Die seiner Meinung nach wichtigen Passagen hatte
er markiert. »Dann lies mir die doch bitte vor, wenn du magst.« Anna legte sich
quer aufs Sofa, rückte sich eines der voluminösen Kissen im Rücken zurecht und
legte ihre Füße ohne darüber nachzudenken in Christians Schoß. Christian nahm
es mit Freude zur Kenntnis und begann zu lesen.
19. Dezember 2004: Mama geht mir so was von
auf den Wecker. Diese zur Schau gestellte Märtyrer-Miene, weil Papa wieder
nicht an Weihnachten zu ihrem blöden Forellen-Fressen kommt. Sie geht so übertrieben
aufrecht, um mir bei jedem Schritt mitzuteilen, wie gebeugt sie innerlich unter
ihrer übergroßen Schuld ist, aber wie tapfer und stark gleichzeitig. Nie gibt
sie was zu, nie verliert sie die Kontrolle. Was für ein Vorbild! Hoffentlich
werde ich nie wie sie.
 
12. Februar 2005: Ich hasse sie! Gestern
habe ich Ali mit nach Hause gebracht, und sie hat ihn so krass beleidigt, dass
er mich garantiert nie wieder sehen will. Und warum? Weil er Araber ist, und
Papa seit der Trennung immer in arabischen Ländern arbeitet. Im Moment ist er
in Bahrain auf einem Ölfeld. Ich würde ihn so gerne mal da besuchen. Mama würde
ausflippen. Sie ist der festen Überzeugung, dass Papa sich nur noch von
stinkenden arabischen Huren befriedigen lässt, seit sie ihn so enttäuscht hat.
Die Frau tickt nicht mehr richtig. Und mir versaut sie das ganze Leben. Ich
hasse sie!
8. Mai 2005: Juhuu, ich habe endlich mein
Abi! Im Oktober verschwinde ich hier aus Mamas Daueraufführung von »Schuld und
Sühne«. Ich werde studieren und in eine coole WG ziehen. Endlich frei! Dann
kann Mama auch nicht mehr kontrollieren, mit wem ich mich treffe. Im Nebenfach
werde ich Orientalistik studieren. Da lerne ich Arabisch, und dann besuche ich
Papa. Lars war im Februar bei ihm. Er fand es total klasse in Kuwait. Ach ja,
Papa ist jetzt in Kuwait. Lars kommt heute zum Essen. Er hat einen Superjob bei
Airbus gekriegt. Papa ist bestimmt irre stolz auf ihn.
28. November 2005: Ich hab’s mal wieder
falsch gemacht. Mama hat mir eine hübsche Einzimmerwohnung in Uhlenhorst
angemietet, und ich Idiotin habe mich darauf eingelassen. Falsche Seite der
Alster, falsche Gegend, falsche Wohnung, falsches Leben. Wann schaffe ich es
endlich, mich gegen sie zu wehren? Ich bin ein feiges, frustriertes Stück
Scheiße.
3. Februar 2006: Ich hab’s getan! Seit
gestern wohne ich in einer WG, ganz in der Nähe der Uni. Hier ist viel mehr los
als in Uhlenhorst. Kinos und Kneipen und alles. Ich wohne mit Sonja und
Carsten, einem netten Pärchen. Sie studieren Jura. Wir passen ganz gut zusammen.
Bin gespannt, wie sich das anfühlt.
5. Februar 2006: Sonja und Carsten sind
genauso bescheuert wie meine Mutter. Heute Morgen sind sie damit rausgerückt,
wie irre nett sie mich finden. Nur meine Kommilitonen aus der Orientalistik
oder sonstige Kanaken, okay, das Wort haben sie nicht benutzt, aber sie haben
es gedacht, die darf ich nicht mitbringen. Weil Araber ja alle Extremisten sind
und unter ihren Shirts Sprengstoffgürtel tragen. Die Welt ist so bekloppt. Wenn
Papa mich doch nur mal besuchen und diesen Ignoranten erzählen würde, wie
respektvoll er immer in diesen Ländern aufgenommen wird und was für ein altes
Kulturvolk die sind. Aber nützt ja nichts. Schätze, ich muss demnächst wieder
umziehen. Aber das kostet Geld. Mama wird ausflippen.
8. September 2006: Seit dem Sommersemester
bin ich in einer Theatergruppe. Das tut mir ganz gut, ich habe nämlich erkannt,
wie groß meine Probleme sind, aus mir rauszugehen. Die Regisseurin ist ’ne
Lesbe. Kiki. Zuerst fand ich das cool, weil ich noch nie eine kennengelernt
habe. Aber ich glaube, sie hat sich in mich verknallt. Keine Ahnung, wie ich
damit umgehen soll. Mein erster Impuls war, die Gruppe zu verlassen. Aber ich
muss lernen, mit Konflikten umzugehen statt ihnen auszuweichen.
17. September 2006: Er steht auf mich! Doch,
es ist wahr. Er interessiert sich ernsthaft für mich. Für mich! Der kann alle
haben, aber er will mich! Die Vorstellung, bald mit ihm zu schlafen,

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