Eisblut
eine Leiche gefunden worden,
in einem blauen Plastiksack. Eberhard wollte wissen, ob er gleich dorthinfahren
sollte, doch Christian verneinte. Die Obdachlosen am Kaiser-Friedrich-Ufer
würden nur bis elf Uhr da sein. Und wer wisse schon, ob sie es sich bis morgen
nicht anders überlegt hätten mit der Aussage. Er wollte selbst zur Elbe fahren.
Eberhard erinnerte Christian an seinen Status als Privatperson und versprach,
Hansi im Präsidium abzuliefern und mit Volker so schnell wie möglich
nachzukommen. AuÃerdem werde er gleich noch Pete verständigen, der zur
Lagebesprechung bei Oberstaatsanwalt Waller weilte. Er wollte sich nicht darauf
verlassen, dass die Streife oder der dann zuständige Beamte von der
Mordkommission die Soko eigenständig benachrichtigen würde.
Christian legte auf und sah Anna bedauernd an: »Tut mir leid, ich muss
weg. Können wir später weiterreden?«
»Hast du einen Dienstwagen hier?«
Christian verneinte: »Den benutzt Herd. Ich nehme mir ein Taxi.«
Anna erhob sich: »Das kann eine Viertelstunde dauern. Ich fahr
dich.«
Christian wollte protestieren, aber Anna duldete keinen Widerspruch:
»Mit welchem Argument willst du es mir verbieten? Weil ich Privatperson bin und
an einem Tatort nichts verloren habe?«
Christian sah sie ernst an: »Ich will nicht, dass du wieder mit so
einer ScheiÃgeschichte zu tun hast.«
»Keine Angst, ich werde mir die Leiche bestimmt nicht ansehen.« Sie
kramte leicht zitternd ihren Autoschlüssel aus der Handtasche. »Los jetzt,
bevor Passanten dir die Spuren zertrampeln.«
Wie immer gab es keinen legalen Parkplatz am Museumshafen
in Ãvelgönne. Dafür aber jede Menge Touristen. Langsam bahnte sich Anna einen
Weg durch die Trauben von FuÃgängern, die neben dem Bürgersteig auch die enge
StraÃe verstopften, bis hin zu den beiden Streifenwagen, die die Einfahrt zum
unteren Parkplatz versperrten.
»Halt hier an, und schalt die Warnblinkanlage ein«, meinte
Christian. Anna hatte den Motor noch nicht abgestellt, da war Christian schon
drauÃen. Sie schloss den Wagen ab und folgte ihm zögerlich. Zwei uniformierte
Beamte versperrten den unteren Parkplatz mit einem Absperrband auch für
FuÃgänger. Schaulustige versammelten sich um die Polizisten herum und vor allem
auf der Brücke, von der aus sie hofften, einen besseren Blick auf das Geschehen
zu erhaschen. Anna hielt sich diskret hinter Christian und beobachtete, wie er
einen der Beamten ansprach. Der Uniformierte drehte sich verärgert um, doch
seine Miene erhellte sich, als er Christian erkannte und freundlich begrüÃte.
»Beyer, altes Haus, wieder in Amt und Würden?«
Christian schüttelte den Kopf: »Bin ganz zufällig hier, Karl. Was
ist denn los?«
Der Beamte schob seine Mütze zurück und kratzte sich am Kopf: »Ne
Leiche. Keine Ahnung, völlig verkohlt. Vielleicht haben ein paar Nazispacken
einen Punk angekokelt. So was hatten wir im Sommer mal, während der WM.
Liegt da unten in einem Sack. Ich hab noch nicht richtig geguckt, erst mal die
SofortmaÃnahmen. Sind ja jede Menge Leute hier, die wir weghalten müssen. Peter
Harmsen und Jonas Lemke sind unten bei der Leiche. Willst du runter? Der Kleine
da hat den Sack gefunden. Spricht kein Wort, ist total unter Schock.
Hoffentlich kommt der Psychologe bald.« Karl wies mit dem Daumen auf einen
kleinen, etwa zwölfjährigen Jungen, der auf der Kühlerhaube eines
Streifenwagens saÃ, die FüÃe auf die StoÃstange gestützt.
»Meine Begleitung hier ist auch Psychologin. Sie kann ja versuchen,
ihn zu beruhigen, bis der Kollege da ist.« Christian wandte sich an Anna:
»Willst du?«
Anna nickte und ging zu dem Jungen hin. Er sah wahnsinnig einsam
aus, fand sie. Sie setzte sich neben ihn auf die Kühlerhaube und folgte seinem
starren, tränenverschleierten Blick zu den abgetakelten Schiffen, die für die
Touristen zur Besichtigung hier vor Anker lagen.
»Magst du Schiffe?«, fragte sie den Jungen. Der nickte stumm.
»Sollen wir hingehen und uns das groÃe mal von innen angucken?«
Der Junge sah sie erstaunt an: »Darfst du das?«
Anna erhob sich: »Wir können ja fragen. Komm!« Sie bot dem Jungen
ihre Hand. Der zögerte kurz, dann ergriff er sie und lieà sich von der
Kühlerhaube gleiten. Seine Hand war schmutzig und eiskalt.
Christian und der Beamte sahen,
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