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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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nach ihrer Rückkehr aus Kanada noch nicht gemeldet hatte. Hoch und
heilig versprach Anna, am Samstag zum Essen zu kommen und ausführlich von
Bergen, Bären und Burgern zu berichten. Dann ging sie hinüber zur Mensa, lud
sich ein Tablett mit minderwertigem Essen voll und schlenderte durch den
überfüllten, muffigen Saal auf der Suche nach einem freien Platz. Von einem
Tisch am Fenster winkte ihr Martin fröhlich zu. Anna seufzte: Gab es denn kein
Entkommen vor diesem Studenten? Um jedoch ihre Unfreundlichkeit im Fahrstuhl
wiedergutzumachen, steuerte sie ihn an und setzte sich zu ihm. Erst da sah sie,
dass ein zweites Tablett mit dampfendem Mittagstisch neben ihm stand. Sofort
wollte sie sich wieder zurückziehen, um ihn und seine Gesellschaft nicht zu
stören. Doch Martin bat sie zu bleiben. Er aß mit Professor Gellert, der
schnell noch zum Händewaschen war. Nicht ganz ohne Spott kommentierte Anna
Martins Bemühungen, sich an seine Dozenten anzuschließen. Doch auch diese
kleine Spitze schien Martin nicht zu stören. Ernsthaft erklärte er ihr, wie sympathisch
Professor Gellert sei und wie sehr er unter der Trennung von seiner Frau litt.
Man munkelte, sie habe ihn wegen eines anderen, eines Jüngeren verlassen, und
obwohl Gellert sich seinen Kummer nicht anmerken ließ, wusste doch jeder, der
ihn einigermaßen kannte, wie abgöttisch er seine Frau geliebt hatte und wie
tief ihn dieser Verlust traf. Deswegen, und weil er seinen Professor
rückhaltlos bewunderte, verbrachte Martin manchmal auch privat ein wenig Zeit
mit Gellert und leistete ihm bei seinem heimlichen Hobby, dem Minigolf,
Gesellschaft. Anna musste versprechen, das Thema Minigolf Gellert gegenüber
nicht zu erwähnen, er betrachtete es als eine Art köstliches Geheimnis, mit dem
er zu gegebener Zeit seinen »richtig« golfspielenden Kollegen, den britischen
Professor Seymour, zu schockieren gedachte. Irgendwann plante Gellert, der
schon häufig ausgesprochenen Einladung seines Kollegen zu folgen, mit seinen
Minigolfschlägern auf dem Grün zu erscheinen und unschuldig nach der Wasserburg
zu fragen. Anna musste lachen und freute sich, Martin vielleicht doch falsch
eingeschätzt zu haben. Eine solche Anteilnahme und Sensibilität hätte sie ihrem
vorlauten Studenten nicht zugetraut. Innerlich tat sie Abbitte und nahm sich
vor, Martin künftig nicht mehr nur nach seiner großen Klappe zu beurteilen.
    Gellert, der sich ebenfalls über Annas Gesellschaft zu freuen
schien, erwies sich als charmanter und kluger Plauderer. Er gab Anna einen
humorvollen Überblick über seinen Fachbereich und befragte sie nach ihrem
wissenschaftlichen Werdegang. Dass Martin dabei Annas letztjährige Beteiligung
an der Jagd auf den Bestatter erwähnte, hatte Anna schon fast erwartet. Sie
wurde schließlich häufig darauf angesprochen und bedauerte die zweifelhafte
Berühmtheit, die sie dadurch anscheinend sogar im Kreise der Hamburger Uni
erlangt hatte.
    Â»Aber ich warne Sie, Herr Gellert, Frau Doktor Maybach spricht nicht
gerne darüber«, meinte Martin mit ernster Miene.
    Â»Kann ich verstehen«, Gellert nickte Anna freundlich zu, »und
deswegen wollen wir es auch schlicht lassen. Wer wühlt schon gerne in der
Vergangenheit?«
    Martin warf Anna einen bedeutsamen Blick zu, doch auch ohne diesen
Hinweis hatte Anna verstanden, dass Gellert von sich gesprochen hatte. Die
Wunde saß anscheinend wirklich sehr tief, und Gellert kannte – ebenso wie Anna – die Angst, an eine solche Verletzung zu rühren, bevor sie vollständig
vernarbt war.
    Â»Die Gegenwart hat genug Scheußlichkeiten zu bieten, finden Sie
nicht?« Anna und Martin sahen ihn fragend an, woraufhin er die »Mopo« aus
seiner Tasche zog und Seite acht aufschlug. Anna nickte, sie kannte den Artikel
seit eben. Martin nahm neugierig die Zeitung, die Gellert ihm hinhielt.
    Â»Eine Studentin von unserer Uni, ist das zu fassen?« Gellert ließ
sein Besteck sinken und schob den Teller zurück. »Sie als Psychologin und
vielleicht auch ich als Anthropologe, wir sollten etwas dazu sagen können. Wir
sollten ein Erklärungsmuster haben, zumindest irgendeine Idee, was einen Mensch
zu solchen Taten befähigt. Ich könnte Ihnen jetzt einen Vortrag halten über die
historisch belegten Grausamkeiten, derer sich der homo sapiens im Laufe seiner
Kulturgeschichte nicht bremsen konnte zu bedienen. Sie

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