Eisblut
vorstellten, fuhr
ihr sichtlich der Schreck in die Glieder. »Haben Sie Mohsen gefunden? Ist alles
in Ordnung?«, fragte sie fast panisch.
So ruhig wie möglich bat Christian um Einlass. Erst als sie im
Wohnzimmer saÃen, erklärte Karen, warum sie so unangemeldet hier auftauchten.
Sie wusste nicht, was los war und erhoffte sich Aufklärung von Frau Hamidi. Da
Mohsen sonst immer absolut zuverlässig und pünktlich zum Dienst erschienen war,
war sein heutiges Verhalten für sie durchaus Anlass zur Sorge.
Frau Hamidi knetete das Taschentuch in ihren Händen. Tränen traten
ihr wieder in die Augen: »Mohsen hat Sie und danach mich vom Frankfurter
Flughafen aus angerufen. Jetzt ist er unterwegs in den Iran.«
»Was will er denn da? So plötzlich?« Christian schwante Böses. Er
hatte Frau Hamidis Aussage gelesen.
Plötzlich wurde Frau Hamidi aggressiv: »Diese Psychologin ist
schuld, ich habe ihr vertraut. Nie darf Mohsen erfahren, was ich erzählt habe,
niemals, habe ich ihr gesagt!«
Karen legte ihre Hand sanft auf Frau Hamidis Unterarm: »Frau Doktor
Maybach hat sich an die Verabredung mit Ihnen gehalten, da können Sie ganz
sicher sein. Auch ich habe das, genau wie alle anderen Kollegen, nicht wahr?«
Hilfesuchend blickte sie zu Christian.
»Wie kommen Sie denn darauf, dass Ihr Sohn Kenntnis von Ihrer
Aussage hat?«, wollte Christian wissen.
Laut schluchzend brach es aus Frau Hamidi heraus. »Weil er es mir
gesagt hat. Er wird nicht eher ruhen und zurückkommen, bis er die Kerle
gefunden hat, die mir das angetan haben. Und dann wird er sie töten. Das hat er
geschworen. Und jetzt frage ich Sie: Wie hat er davon erfahren?«
Betreten schwiegen Karen und Christian eine Weile. »Er muss sich
unberechtigterweise Zugang zu dem Server verschafft haben, auf dem die
Zeugenaussagen gespeichert sind.«
»Ich habe keine Zeugenaussage gemacht, ich habe einer Privatperson
inoffiziell einen Tipp gegeben. Weil ich helfen wollte. Wieso wird das irgendwo
gespeichert? Ich will nicht, dass meine Geschichte gespeichert ist!«
»Ihre persönlichen Daten sind verschlüsselt. Keiner kann Ihre
Aussage zuordnen. AuÃer Mohsen offensichtlich. Es tut mir leid.« Tatsächlich
fühlte sich Christian sehr hilflos.
»Er wird sicher bald einsehen, dass er nichts ausrichten kann. Das
ist doch alles schon viel zu lange her. Er hat keine Chance. Und dann wird er
zurückkkommen«, versuchte Karen, Frau Hamidi zu trösten. Doch die sah sie nur
traurig an: »Sie verstehen überhaupt nichts. Mein Sohn ist tot. Er ist jetzt
schon tot, obwohl er noch ruhig atmend im Flugzeug sitzt. Er wird nicht
zurückkommen. Er hat geschworen. Er wird die Kerle finden. Inschallah. Mein
Bruder in Teheran wird ihm dabei helfen. Und dann werden die Schuldigen Mohsen
töten. Und meinen Bruder. Und dessen Frau. Und seine Tochter. Die werden sie
foltern.« Nun brach Frau Hamidi vollends zusammen. Ihr ganzer Körper wurde von
einem Weinkrampf geschüttelt, sie hyperventilierte, schlug sich in einem fort
mit der geballten Faust gegen den Kopf und schrie laut: »Es hört nie auf, es
hört niemals auf â¦Â«
Karen rief einen Arzt.
Lars hatte zuerst Christian und dann Pete angefleht.
Irgendwas würde er doch tun können, um zu helfen, irgendwas. Er wollte dabei
sein, Kaffee kochen, chauffieren, alles würde er tun, wenn er dabei sein
durfte. Ihm war klar gewesen, wie sinnlos sein Anliegen und wie hilflos seine
Versuche waren. Weder Pete noch Christian lieÃen sich darauf ein, sie konnten,
sie durften nicht. Aber er hatte es wenigstens probiert. Jetzt musste er auf
eigene Faust etwas unternehmen. Unmöglich konnte er zu Hause sitzen und warten,
bis die Polizei dieses Phantom fand. Diesen Typen, der seine unschuldige,
kleine Schwester in einen sadomasochistischen Sumpf gezogen hatte, in dem sie
auf so scheuÃliche Weise zugrundegegangen war. Er hatte nicht viel gewusst von
seiner Schwester, das war ihm erschreckend klar geworden, als er das Tagebuch
gelesen hatte. Aber er hatte sie gut genug gekannt, um zu wissen, dass sie ohne
gezielte Manipulation, ohne Druck nie dort gelandet wäre. Vielleicht hatte der
Typ sie unter Drogen gesetzt. Vielleicht hatte er sie hypnotisiert. Lars saà in
der U-Bahn
und starrte zum Fenster hinaus auf die schmutzigen, gekachelten Mauern, die an
ihm vorbeizogen. Er fragte sich ganz tief drinnen, ob er immer noch
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