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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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Eberhard würden wiederkommen müssen, denn sie
hofften nicht darauf, dass sich jemand vom Kiez auf den Aufruf in der Zeitung
hin bei der Polizei meldete. Die Verkäuferin hatte ebenso wie ihre Kollegen und
Kolleginnen von dem Mord in der Zeitung gelesen und schon mit
Ermittlungsbeamten gerechnet. Ihrer Meinung nach machte die Polizei einen
Fehler, wenn sie sadistische Mörder im Kreis der S/M-Gemeinde suchte. Wer
seiner Triebabfuhr in entsprechenden Etablissements in kontrolliertem Rahmen
und unter klar abgesprochenen Regeln der Beteiligten nachkam, der hatte es
ihrer Meinung nach nicht nötig, sich auf kriminellen Pfaden Erleichterung zu
verschaffen. Volker und Eberhard wollten trotzdem gerne die Liste mit den
Stammkunden haben, doch da verwies die Verkäuferin sie an den Chef. Das durfte
sie nicht entscheiden. Volker notierte auch die Nummer des Chefs: »Wir wollen
ja nicht, dass Sie wieder Würstchen auf dem Markt verkaufen müssen.«
    Die Verkäuferin lachte: »Das ist nett. Hier muss ich nämlich nicht
so früh aufstehen und verdiene viel besser.« Volker und Eberhard bedankten sich
für die freundliche Unterstützung und die Nachhilfe, auch in Sachen Spielzeug,
und gingen hinaus. Das Tageslicht schmerzte kurz in den Augen. Eberhard sah sich
um. Hamburgs Amüsierviertel, eine weltweite Touristenattraktion, die nachts
verheißungsvoll glitzerte, offenbarte tagsüber seine ganze Schäbigkeit. Die
Häuser waren hässlich und verwittert, der Boden übersät mit zerschlagenen Bier-
und Wodkaflaschen, Pommes frites und halb gegessenen Würstchen, Kotze, Kippen,
und in den Eingängen der geschlossenen Strip-Läden lagen Betrunkene, die ihren
Rausch ausschliefen, bis die Kneipen wieder öffneten.
    Â»Ich stelle immer häufiger fest, dass es in dieser Welt ’ne Menge
Dinge gibt, die ich nicht sehen und nicht wissen will«, meinte Eberhard bitter.
»Vielleicht sollte ich den Beruf wechseln.«
    Â»Nicht heute«, erwiderte Volker lapidar, »da draußen läuft ein
Killer rum.«
    Es kostete Karen und Christian tatsächlich einige Mühe,
die Rechtsmedizin in der Universitätsklinik Eppendorf zu verlassen, ohne von
Journalisten bedrängt zu werden. Sie nutzten den Liefereingang der Küche und
schlichen sich hinten herum ums Gebäude zum Parkplatz. Christian zwängte seine
ein Meter achtundachtzig Körpergröße in Karens Cabriolet, gab ihr die Adresse
von Frau Hamidi und erzählte unterwegs von Wallers Wutanfall. Vorsichtig
befragte Karen Christian nach seinem Verhältnis zu Manuela Berger, doch er
hatte keine Lust, über diesen unerfreulichen Teil seiner Vergangenheit und
leider auch der Gegenwart zu sprechen. Dass es den Fall komplizieren könnte,
schloss er kategorisch aus. Also unterließ Karen es, weiter in ihn zu dringen
und referierte nur knapp die jüngsten Laborergebnisse, die bedauerlicherweise
nicht zu neuen Erkenntnissen führten. Mit der Sichtung älterer
Obduktionsberichte hatte sie noch nicht beginnen können, und wenn Mohsen
tatsächlich seinen Dienst quittierte, wusste sie auch nicht, wie sie das
schaffen sollte. Ihre erfahrenen Kollegen hatten selbst alle Hände voll zu tun,
schließlich wurde in Hamburg nicht nur dann und wann gemordet, sondern auch
natürlicher Tode gestorben, die dennoch genauer untersucht werden mussten. Und
mit unerfahrenen Kräften, Studenten etwa, selbst in höheren Semestern, konnte
sie wenig anfangen, ging es doch darum, mögliche Fehler aufzudecken, die den
Profis unterlaufen waren. Eine Kraft hatte Karen schon dazugezogen, eine
ehrgeizige und akribische Doktorandin, die jedoch immer erst abends, quasi in
ihrer Freizeit, helfen konnte. Mehr war zur Zeit nicht drin. Natürlich fanden
sowohl Karen als auch Christian den Mangel an qualifiziertem Personal, der
ihnen die Arbeit erschwerte, unerträglich, aber sie wussten, dass sie es nicht
ändern konnten, egal, wie viele Petitionen und Anträge und Beschwerden sie
einreichten.
    Auf Karens Bitte hin hatte Christian den Besuch bei Frau Hamidi
nicht angekündigt. Karen fürchtete, dass, falls Mohsen sich überhaupt bei
seiner Mutter aufhielt, er nicht öffnen würde, da er heute Morgen mitten in
ihrer Argumentation das Telefonat einfach abgebrochen hatte.
    Frau Hamidi öffnete die Tür schon kurz nach dem ersten Klingeln.
Ihre Augen waren verweint, und als Karen und Christian sich

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