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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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verabschiedet und hoffte sehr, der
würde einigermaßen gut verarbeiten, was er über seine Schwester in den letzten
beiden Stunden erfahren hatte.
    Christian sah auf die Uhr. Noch lief Annas Sprechstunde an der Uni.
Er hatte Lust, ihre Stimme zu hören und mit ihr über irgendetwas Belangloses zu
plaudern, vielleicht über das Wetter oder Franz Marc. Aber ihm fiel kein
Vorwand ein, um sie anzurufen, so sehr er auch noch darüber nachgrübelte. Er
lief quer durch das Schanzenviertel zwischen Punks, Alternativen und hippen
Jungdesignern herum, die die engen Straßen und kleinen Cafés bevölkerten,
gelassen in Szenezeitschriften blätterten, ihre neuen Sneakers spazieren
führten, den Pittbull mit Hotdogs fütterten, entspannt den Rauchkringeln des
ersten Joints am Morgen hinterhersahen und augenscheinlich mit sich und diesem
kühlen, tristen Novembertag im Einklang waren, als werde die Welt nicht
stündlich neu aus den Angeln gehoben und in ihren Grundfesten erschüttert.
    Christians Handy klingelte. Es war Karen, die ebenfalls unter dem
Zeitungsartikel zu leiden hatte. Permanent riefen Bürger mit einem speziellen
Geschmack für Scheußlichkeiten in der Rechtsmedizin an und wollten Genaueres
über die Art der Folter wissen, der Uta Berger ausgesetzt worden war. Außerdem
belagerte die Presse alle Ein- und Ausgänge, um Karen irgendwo zu erwischen und
zu einem Interview zu zwingen. Und als wäre das nicht genug, hatte heute Morgen
Mohsen angerufen und ohne Angabe von Gründen um vier Wochen Urlaub gebeten. Als
sie diesem Antrag wegen der momentanen Arbeitsüberlastung nicht stattgeben
konnte, hatte er fristlos gekündigt, und sich auch nicht mit Hinweis auf seinen
Vertrag und die darin enthaltenen Kündigungsfristen umstimmen lassen. Seitdem
hatte er sein Handy abgeschaltet. Karen bat Christian dringlich, in der
Rechtsmedizin vorbeizukommen und mit ihr zu Frau Hamidi zu fahren, denn sie
hatte das untrügliche Gefühl, Mohsens überstürzter Abgang könnte mit dem Fall
zu tun haben, und er könnte in Schwierigkeiten sein oder geraten.
    Nach diesen Hiobsbotschaften war Christian so geladen, dass es ihm
extrem zupass kam, in Wallers Büro auf Manuela Berger zu treffen. Sie saß da,
in einem teuren Kostüm auf dem äußersten Rand des Besuchersessels balancierend,
wie immer perfekt frisiert und dezent mit Schmuck behangen, Schuhe und
Handtasche farblich aufeinander abgestimmt. Ohne Waller eines Blickes zu
würdigen, ging Christian auf diese Ikone der perfekten Hanseatin los: »Wie
bescheuert bis du eigentlich? Hättest du mich nicht vorher fragen können, bevor
du mit der Presse redest?«
    Â»Mäßigen Sie sich, Herr Beyer«, ging Waller dazwischen, bevor
Manuela antworten konnte. Es passte ihm nicht, wie respektlos Christians
Auftreten ihm gegenüber war und dass er sich anmaßte, in seinem Büro einen
Besucher zu beleidigen. Noch dazu einen attraktiven Gast aus der besseren
Gesellschaft. »Ich habe Frau Berger schon auseinandergesetzt, wie ungeschickt
ihr diesbezügliches Verhalten war. – Sie kennen sich?«
    Â»Flüchtig«, gab Christian an und warf Manuela einen warnenden Blick
zu, der Waller nicht entging.
    Manuela erhob sich, ignorierte Christian weitgehend, entschuldigte
sich bei Waller für ihr wenig umsichtiges Vorgehen, versprach, etwaige weitere
Schritte mit ihm abzusprechen und verabschiedete sich. Christian bekam ein
kurzes, kühles Kopfnicken, dann war er Waller unter vier Augen ausgeliefert.
Neben den üblichen Vorwürfen, den Fall nicht im Griff zu haben, nicht einmal
die Angehörigen, bekam Christian auch noch eine prophylaktische Warnung,
Privates mit Beruflichem zu vermengen.
    Â»Ich halte meinen Kopf für Ihre Wiedereinstellung hin, Beyer. Wenn
Sie auch nur einen einzigen Fehler machen, und sei er noch so klitzeklein, dann
reiße ich Ihnen ganz persönlich den Arsch auf, ist das klar?«
    Nur mit Mühe unterdrückte Christian ein Grinsen. Waller war etwa
zwei Köpfe kleiner als er, deutlich verfettet und ganz und gar unsportlich. Das
Einzige, worauf er sich mit seinen Drohungen berufen konnte, war Macht. Und die
beeindruckte Christian nicht.
    Gelangweilt schloss Anna ihre Sprechstunde ab. Niemand
hatte sich blicken lassen. Die Monotonie des Morgens war nur von einem Anruf
ihrer Mutter unterbrochen worden, die sich mit Recht darüber beschwerte, dass
Anna sich

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