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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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würde sie zu Fuß gehen, das würde ihr guttun.
    Professor Weinheim, ein völlig ergrauter Mann Ende sechzig mit
Augenbrauen so buschig wie Fuchsschwänze, saß schon da, als sie ankam. Anna
begrüßte ihn herzlich und bat, das Gespräch nicht im Café zu führen. Sie wäre
erkältet und leicht fiebrig und würde sich in der verqualmten Luft nicht
wohlfühlen. Weinheim blickte sie forschend an, bestellte aber ohne nachzufragen
ein Taxi. Eine halbe Stunde später kuschelte sich Anna in Weinheims behaglicher
Altbauwohnung in Uhlenhorst auf die Couch und erzählte ihm von Kanada und den
Ereignissen seit ihrer Rückkehr, wobei sie sich auf den Beginn ihrer
Lehrtätigkeit an der Uni beschränkte. Weinheim hörte ruhig zu und trank dabei
seinen Tee mit Milch.
    Â»Anna, das ist ja alles zweifelsohne interessant, aber du hast dich
wohl kaum bei mir gemeldet, um über die Herausforderungen einer
Dozententätigkeit und aufmüpfige Studenten zu reden. Was ist los?«
    Anna nickte und kam nach einer kleinen Pause zum Wesentlichen. Sie
erzählte von ihrer Sehnsucht nach Christian, obwohl sie ihn bei den
Kanuwanderungen in British Columbia erfolgreich aus ihrem System verdängt
glaubte. Sie erzählte, wie sie sich hatte überreden lassen, mit Frau Hamidi zu
sprechen, sie beschrieb den Schock, deren zerfetzten Oberkörper zu sehen, die
schlaflose Nacht danach, den Zwang, sich im Internet Artikel und Fotos über
Folterungen anzusehen, sie erzählte von ihrem Treffen mit Christian, von der
Nähe, die sie gespürt hatte, und ihrer Einmischung in den Fall, als sie die
Obdachlosen auf der Parkbank ansprach.
    Sorgenvoll betrachtete Weinheim seine ehemalige Lieblingsstudentin.
»Reden wir mal über deine Erkältung«, sagte er zu Annas Erstaunen. »Du hast
leichtes Fieber, Schweißausbrüche? Was noch?«
    Â»Das Übliche«, erwiderte Anna mit einem komischen Gefühl in der
Magengegend, »aber das ist doch jetzt nicht wichtig …«
    Weinheim goss sich Tee nach und fixierte Anna über den Goldrand
seiner Brille. »Das weißt du besser. Erinnere dich an das, was du bei mir
gelernt hast. Was sind die physiologischen Symptome einer Panikattacke?«
    Anna schüttelte unwirsch den Kopf: »Das hat doch damit gar nichts …«
    Â»Antworte!«
    Anna gab nach: »Erhöhte Herzfrequenz, Atemnot, Benommenheit, Zittern,
Schweißausbrüche, Erstickungsgefühl und Übelkeit.«
    Es ärgerte Anna, dass Weinheim ruhig an seinem Tee nippte. Es
ärgerte sie, dass er vermutlich recht hatte. Ihr Trauma. Es begann, sich wieder
aus ihrem Unterbewussten hochzuschrauben und sie zu beeinträchtigen. Anlässe
und Auslöser hatte sie bereitwillig angeboten, ganz so, als warte sie nur
darauf, sich endlich wieder damit auseinanderzusetzen.
    Â»Du bist noch nicht durch mit dem Thema«, bestätigte Weinheim, »und
mit diesem Kommissar bist du auch noch nicht durch. Das Problem ist weiterhin,
dass diese beiden Komplexe miteinander gekoppelt sind. Solange du das nicht
aufgedröselt bekommst, wirst du weder vor Panikattacken geschützt sein, noch
eine glückliche Beziehung mit dem Mann eingehen können.«
    Anna schlug die Hände vors Gesicht. Ging das nun alles wieder von
vorne los? Hatte sie allen Ernstes gedacht, ein bisschen paddeln könne sie
endgültig befreien? Hatte sie es überhaupt gewollt?
    Â»Aber unsere Therapie letztes Jahr war doch erfolgreich«, meinte sie
hilflos.
    Â»Wir haben die Angststörung in den Griff bekommen. Aber
offensichtlich nicht mehr. Du organisierst dir jetzt ganz deutlich eine erneute
Konfrontation mit dem Trauma. Du gehst dahin, wo es wehtut. Das ist okay, sieh
es positiv. Du bist kein Typ, der auf Dauer verdrängt, du willst es geklärt
haben.«
    Â»Wegen Christian«, mutmaßte Anna leise.
    Christian war inzwischen klar, warum Manuela ihn beim
Leichenschmaus dabeihaben wollte. Ihr Exmann war mit seiner neuen Frau da,
einer attraktiven Irakerin. So wie Christian Manuela kannte, wollte sie Herbert
im Gegenzug mit ihrem Exliebhaber ärgern, was allerdings nicht gelang. Herbert
hatte Christian freundlich begrüßt und machte einen sympathischen Eindruck.
Manuela hingegen, vollkommen fertig durch den Tod ihrer Tochter und alles, was
in ihrem Leben außerdem noch falsch gelaufen war, trank mehr, als ihr
zuträglich war. Christian fühlte sich

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