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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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ungeladenen Gast, der
heimlich an der Feier teilnahm. Sie sahen niemanden.
    Plötzlich klingelte Christians Handy, und noch nie war es ihm so
peinlich gewesen, Ennio Morricones »Spiel mir das Lied vom Tod« als
Klingelmelodie eingerichtet zu haben. So schnell es ging, nahm er an, wandte
sich um, entfernte sich noch ein paar Meter, doch er glaubte deutlich zu
spüren, wie sich die Blicke der Trauergäste in seinen Rücken bohrten, am
heftigsten die von Manuela und Lars, die ihn nun auch entdeckt hatten.
    Es war Karen, die ihm mitteilte, etwas Interessantes entdeckt zu
haben. Christian wollte es genauer wissen, doch Pete schubste ihn an. Unwillig
drehte Christian sich um und sah Manuela auf sich zukommen. Schnell vertröstete
er Karen auf später und steckte das Handy weg.
    Â»Tut mir leid, das mit dem Handy, ich wollte nicht … tut mir
überhaupt … herzliches Beileid …«, stammelte er überfordert, als sie vor ihm
stand.
    Â»Schon gut, danke«, erwiderte Manuela. Ihre Augen waren gerötet vom
Weinen, ihre Stimme klang brüchig. »Hör zu, Chris, es gibt gleich bei mir zu
Hause Kaffee und Kuchen für die Trauergäste. Ich möchte, dass du kommst.«
    Christian stutzte, sowohl von dem Ansinnen als auch von dem
kategorischen Ton Manuelas irritiert, den sie trotz ihrer Angegriffenheit an
den Tag legte. Oder gerade deswegen. »Ich halte das für keine gute Idee.«
    Eindringlich sah sie ihn an: »Bitte, tu mir den Gefallen. Ich habe
meine Gründe.« Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie zurück zu Lars und ihrem
Exmann. Dabei versanken die Absätze ihrer Pumps in dem aufgeweichten Rasen,
sodass ihre Bewegung unbeholfen wirkte und sie bei jedem Schritt den Kopf
voranzustoßen schien, um mit einem kleinen Ruck die Füße, einen nach dem
anderen, nachzuziehen wie ein großer schwarzer Vogel. Ihr Schleier flatterte im
Wind wie Flügelschlagen. Tag der Raben.
    Anna stand in der Grindelallee und wartete auf den Bus in
Richtung Stadtzentrum. Ihren Mini hatte sie zu Hause gelassen, denn die
Parkplatzsituation im Univiertel war desolat. An der Haltestelle herrschte
dichtes Gedränge, und mit jeder Ampelschaltung kamen neue Studenten über den
Zebrastreifen angeströmt, die den Bus nehmen wollten. Anna wich einen Schritt
zurück, um einem Pulk von jungen Männern Platz zu machen auf dem schmalen
Wartestreifen und stieß mit dem Mundwinkel an einen aufgespannten Regenschirm
neben ihr, dessen Besitzerin zwei Kopf kleiner war als sie. Auf der
gegenüberliegenden Straßenseite kamen plötzlich Yvonne und Martin aus der
Bäckerei. Verblüfft beobachtete Anna, wie Martin eine Zeitung gegen den
Sprühregen über Yvonnes Kopf hielt und vertraut ihre Hand nahm. Anna streckte
sich seitlich, um Yvonnes Gesicht zu sehen, doch da kam der Bus an und schob
sich wie eine Wand zwischen sie und das Tête-à-Tête ihrer Studenten. Eilig
stieg Anna ein und versuchte, noch einen Blick zu erhaschen, doch Yvonne und
Martin waren schon um die Ecke gebogen. Es passte ihr nicht, dass Martin sich
um Yvonne bemühte, auch wenn sie keinen objektiven Grund für diese
Missliebigkeit hatte. Der leise Verdacht, Martin könne sich nur um Yvonne
bemühen, weil er sich irgendwie an sie, Anna, heranspielen wollte, erschien ihr
nach kurzer Überlegung absurd. Doch obwohl sie sich vorgenommen hatte, Martin
nicht mehr nur nach seinem arroganten Auftreten zu beurteilen, gelang es ihr
nicht, etwas Gutes in einer möglichen Verbindung zwischen Yvonne und dem
Nachwuchs-Macho zu sehen. Anna fuhr sich mit der Hand über die Augen, als wolle
sie das Bild verscheuchen. Sie stand eingezwängt zwischen einer Gruppe von BWLern,
die sich engagiert über die Steuerpolitik der Bundesregierung unterhielten. Es
war heiß im Bus. Anna hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen, ihr brach
plötzlich der Schweiß aus, die Stimmen der Studenten um sie herum überlagerten
sich, liefen ineinander und verschmolzen zu einem dumpfen Klangbrei. Ihr wurde
schwindlig, das Herz raste und ihre Hand, die sich in den Haltegriff krallte,
begann zu zittern. Glücklicherweise waren sie bald am Stephansplatz, und Anna
nutzte die Gelegenheit auszusteigen, obwohl sie bis zum Gänsemarkt hatte fahren
wollen. Sie atmete tief durch und stellte beruhigt fest, dass sich ihr
Kreislauf an der frischen Luft sofort stabilisierte. Die letzten Meter bis zum
Café

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