Eisblut
als
Psychologin wärst ein wenig aufgeschlossener.«
»Die Psychologie ist eine Wissenschaft!«
»Hört, hört«, meinte Walter.
Christian beugte sich über seinen Labskaus und war gespannt auf
Annas Return.
»Es gibt in der Welt Kräfte, die man nicht zertrümmern und durch
einen Teilchenbeschleuniger jagen kann«, bemerkte sie trocken zwischen zwei
Bissen.
»Eine Aura zum Beispiel«, flocht Evelyn trotzig ein. Zu Christians
Erleichterung musste Anna lachen und gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange.
Nur Walter konnte offensichtlich nicht lockerlassen.
»So eine Auraleserin, wäre das nichts für die Polizei?«, wandte er
sich an Christian. »Sie könnten die Verdächtigen von ihr abscannen lassen und
erfahren sofort, ob die Seele, was immer das auch sein mag, kontaminiert ist
mit schwarzem Schleim oder bösen Geistern. Die verhaften Sie dann gleich mit.
Und wenn Sie an Resozialisierung glauben, dann rufen Sie diese Helferbande,
bestehend aus Jesus und Konsorten, und die glätten dann die Aura und machen
unsere Welt endlich zur besten aller möglichen.«
Christian lächelte: »Ich muss gestehen, im Moment wären wir für jede
Hilfe dankbar.«
»Sie suchen den Typen, der Leute zu Tode foltert, nicht wahr?«,
fragte Walter.
»Nicht beim Essen!« Evelyn hatte strenge Prinzipien.
Beim Digestif, der wieder im Salon eingenommen wurde, griff Walter
das Thema erneut auf. Christian erzählte ihm vom Stand der Ermittlungen, so
weit er das durfte. Dabei erwähnte er einen verdächtigen Studenten und einen
nebulösen Israeli, von dem man nicht genau wusste, wer und wo er war und ob er
überhaupt in Verbindung zu dem Fall stand. Walter fand diesen fraglichen
Zusammenhang hochinteressant und klärte Christian sehr anschaulich über ein
paar Grundannahmen der Chaostheorie auf. Während der pensionierte Physiker aufs
Anregendste dozierte, fiel Christian auf, wie fasziniert Anna an seinen Lippen
hing. Es musste unerträglich für sie sein, einen Vater zu lieben und zu
bewundern, der über Jahre hinweg die Mutter schlug.
Auch Evelyn hörte stumm zu, doch sie grübelte über etwas anders
nach. In ihr brannte ein Gedanke, den sie loswerden musste: »Ich kann einfach
nicht verstehen, wieso ein Volk wie die Israelis, die eine solch unvorstellbar
grauenvolle Verfolgung erlitten haben, wie können die Methoden anwenden, die
gegen jegliche Menschlichkeit sind? Wie können sie foltern? Tun sie das
wirklich?«
Alle schwiegen betroffen. Vermutlich gab es viele mögliche Antworten
auf diese Frage, aber keine könnte und würde befriedigen.
»Sei nicht so naiv, Evelyn«, meinte Walter. »Die Israelis haben doch
keine besondere Verpflichtung zur Moral, so ein Blödsinn. Sie reagieren so gut
und schlecht, so klug und dumm wie alle anderen auch. Und sie foltern. Wie alle
anderen. Ich glaube, es war 1987, da haben die Israelis ein Regelwerk zum
âºmaÃvollen physischen und psychischen Druckâ¹ festgelegt, das Geheimsache blieb.
Dabei ging es darum, Gefangene tagelang zum Stehen zu zwingen oder sie
zusammengekrümmt zu fesseln, ihnen den Schlaf zu entziehen, sie mit überlauter
Musik zu beschallen, sie am Gang auf die Toilette zu hindern oder sie extrem
hohen und niedrigen Temperaturen auszusetzen. 1999 entschied dann der Oberste
Gerichtshof Israels, dass Folter unter allen Umständen verboten sei. Nach dem
Ausbruch der zweiten Intifada im Herbst des Jahres 2000 und vor allem nach der
Serie verheerender Selbstmordattentate sind die Inlandsgeheimdienste zum
physischen Zwang zurückgekehrt. Der ehemalige Premierminister Barak erklärte
dazu vor einigen Jahren im israelischen Parlament, man lebe nun einmal nicht in
Holland oder in Luxemburg. Israel sei ein Land, das unter der ständigen Bedrohung
des Terrors lebt. Andererseits sei Israel eine Demokratie und Teil der
internationalen Gemeinschaft. Man müsse also beide Seiten sehen. Es ist
wahrlich kein Geheimnis, dass der israelische Inlandsgeheimdienst Shin Bet
palästinensische Häftlinge mit Wissen und Billigung der Regierung foltert. Von
den rund zehntausend palästinensischen Gefangenen, die jedes Jahr die
israelischen Militärgefängnisse durchlaufen, werden zwanzig bis fünfundzwanzig
Prozent Opfer von Misshandlungen bei Verhören. Geheimdienste sind überall
parasitäre Systeme in offiziellen Strukturen von Polizei
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