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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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könnten. Martin habe viel zu großen Erfolg bei Frauen, als dass
er ihnen jede einzelne vorstellen würde. Zumal er es mit den meisten nicht ganz
ernst meinte. Die Mutter seufzte bedauernd. Sie wünschte sich nichts so sehr
wie eine Schwiegertochter und Enkelkinder, fand aber auch, Martin sei noch zu
jung für eine verantwortungsvolle Ehe. Und junge Männer müssten sich erst mal
die Hörner abstoßen. Pete und Volker sahen keinen Grund, Frau Abendroth über
die speziellen Orte und Praktiken zu informieren, an und mit denen sich ihr
Sohn seine ganz speziellen Hörner abstieß. Falls Martin der Mörder von Uta
Berger und den anderen war, würden sich die Eltern noch früh genug mit allen
Details über das Liebesleben ihres Sohnes auseinandersetzen müssen. Falls
Martin aber nicht der Mörder war, sollte man die Eltern besser vor dem Intimleben
ihres Sohnes bewahren.
    Pete hatte vor Martins Wohnung einen zivilen Streifenwagen zur
Standobservation beordert, der Martin sofort abgreifen würde, sobald er seine
Nase in die Straße steckte. Außerdem war Martin im INPOL-System zur örtlichen
Fahndung zwecks Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben. Für eine überörtliche
Fahndung gab es bislang noch keine Veranlassung, auch wenn Christian das Gefühl
nicht loswurde, dass Martins Verschwinden wenig mit spontanen
Wochenendvergnügungen eines amüsiersüchtigen Studenten zu tun hatte. Eine
zusätzliche Fahndung über ZEVIS, das zentrale Verkehrsinformationssystem,
brachte nichts, denn Martin besaß kein Auto. Er fuhr, wie seine Eltern sagten,
meist mit Bus, Bahn oder auch gerne mal mit dem Taxi, was Christian genauso
hellhörig werden ließ wie zuvor Pete und Volker.
    Mehr konnten sie im Moment nicht tun. Die Fahndungsdienststelle
würde ihnen sofort Bescheid geben, falls sie Martin Abendroth festsetzten, und
bis dahin, fand Pete als offizieller Chef der Truppe, konnten die Mitglieder
der Soko gerne mal so etwas ähnliches wie ein Restwochenende genießen.

Tag 9: Sonntag, 5. November
    Dunkel. Ganz dunkel. Kalt. Kalt? Zähne klappern. Meine
Zähne. Ich. Also kalt. Wach. Ich bin wach. Nackt. Stirn. Stirn an Mauer. Kalt.
Rau. Feucht. Vögel. Draußen. Amsel? Egal. Wo ist drinnen? Egal. Tut weh.
Bewegen. Ein Zentimeter. Noch einer. Matschig. Strecken. Bein. Schmerz. Brennt.
Heiß. Stillhalten. Ruhig. Kalt. Kalt und heiß. Atmen. Luft. Luft. Zu wenig.
Röcheln. Lunge röchelt. Mund gurgelt. Warm. Warmes Blut am Kinn. Schön warm.
Wunderschön. Stirn kratzt an Mauer. Nichts spürt. Stirn schlägt Mauer, Kopf
schlägt Mauer. Beton. Beton. Beton. Kalt. Nichts. Warm übers Auge. Blut. Gut.
Warm. Ich lebe. Ich. Durst. Vogel. Dunkel. Es raschelt. Es. Ich. Raschelt. Gut.
Nicht allein. Tropft. Pling. – Pling. – Plong. – Wasser. Durst. Raschelt.
Vogel. Schwindlig. Will Licht. Pfeift. Dunkel. Dunkelgrau. Fuß. Kalt. Schmerz.
Fuß zerrt. Schmerz. Metall. Pfeift. Raschelt. Müde. Durst. Schlafen. Nein!
Nicht schlafen. Hänschen klein, ging allein, in die weite Welt hinein, Stock
und Hut, steht ihm gut, ist auch wohlgemut. Hänschen klein, ganz allein, Welt
hinein, sehr viel Blut, wärmt ihn gut …
    Christian und Anna hatten die Nacht in Annas kleiner
Stadtvilla im Generalsviertel verbracht. Es war eine sehr schöne Nacht gewesen,
sternenklar, ohne Nieselregen, kalt und frisch. Eine Nacht, die roch wie neu
erfunden, wie noch nie dagewesen, eine leidenschaftliche und zärtliche und
innige Nacht, in der sie beide für mehrere Stunden die Welt und all die
Kümmernisse da draußen vergessen konnten. Sie schliefen aus, eng
aneinandergeschmiegt, und begannen den Sonntag leichten Herzens. Nach dem
Frühstück wollten sie an der Elbe spazieren gehen, parallele Fußspuren im Sand
hinterlassen, gemeinsam schweigen, um das Geschrei der Möwen nicht zu
übertönen, die Trockendocks und Kräne grau in grau hinter den milchigen
Morgennebeln erahnen, sich an den Händen halten und die flüchtige und
wiederkehrende Atemsäule vor dem Mund des anderen mit Blicken liebkosen.
    Während Anna das Frühstück vorbereitete, telefonierte Christian mit
Pete und der Fahndungsdienststelle. Es gab nichts Neues, keine Spur von
Abendroth. Auch die Eltern waren inzwischen irritiert. Zwar bemühten sie sich
weiterhin, an einen Wochenendtrip mit einer jungen Frau zu glauben, doch die
Umstände

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