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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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fragte
Anna.
    Mohsen gab keine Antwort. Er erhob sich, ging zum Fenster, drehte
Anna und Christian den Rücken zu und blickte hinaus in den orientalisch
angelegten Garten, friedvolles Sinnbild des Paradieses.
    Â»Der Mann, von dem mein Sohn all das erfahren hat«, antwortete Frau
Hamidi an seiner Stelle, »war Folterer unter dem Schah. Er hat während der
Revolution unerkannt die Seiten gewechselt und war dann ein Pasdaran, ein
Revolutionswächter. Mein Sohn hat ihn getötet. Nachdem er ihm das angetan hat,
was der Mann damals mir angetan hat.«
    Frau Hamidi erhob sich beherrscht. »Und jetzt gehen Sie bitte.«
    Eine halbe Stunde später saßen Anna und Christian beim
verspäteten Frühstück am Goldbekufer und brachten doch beide keinen Bissen
herunter.
    Â»Was für ein Kreislauf des Grauens. Ein Staat foltert eine Frau, und
Jahre später wird dadurch ihr Sohn selbst zum Folterer. Mir ist ein Rätsel, wie
er das fertiggebracht hat«, bemerkte Anna fassungslos. »Ich könnte es nicht,
ich könnte es einfach nicht. Einem Menschen solche Schmerzen zuzufügen, einem,
der schreit, bettelt und fleht, einen Körperteil abschneiden … Das ist so ein
großes Tabu, ich begreife einfach nicht, wie man sich fühlen muss, um diese
Grenze zu überschreiten.«
    Â»Hass ist immer ein starkes Motiv.«
    Â»Man kann doch keinen Menschen hassen, den man nicht mal kennt. Man
hasst das, was er getan hat. Oder den Apparat dahinter. Aber einen völlig
fremden Menschen? So sehr, dass man ihn in Stücke zu schneiden vermag? Da muss
man doch Eis in den Adern haben statt Blut!«
    Â»Rache. Rache ist in Mohsens Wertesystem eine festgefügte Größe,
eine Verpflichtung.«
    Â»Die ihn selbst zerstört. Hast du in seine Augen gesehen? Er ist
kaputt, völlig fertig, total traumatisiert.«
    Beide schwiegen eine Weile und sahen hilflos auf das Frühstück vor
sich. Neben dem Rührei mit Speck waren grüne Salatblätter angerichtet, rote und
gelbe Paprikastreifen, hübsch gekräuselte Sprossen … Das Essen wirkte aufdringlich
optimistisch.
    Â»Was hältst du von dieser ganzen Sache?«, wollte Anna wissen.
    Â»Abgesehen von der schrecklichen Familientragödie der Hamidis? Ich
weiß nicht. Ich finde immer noch keinen Zugang. Aber mir geht immer dieser
Begriff von der Synchronizität der Ereignisse im Kopf herum.«
    Â»Die liegt hier doch gar nicht vor. Mehr als dreißig Jahre und ein
paar tausend Kilometer dazwischen.«
    Â»Zwischen der Folter von Frau Hamidi und Uta Berger ja. Aber ich
habe dir doch von dem verschwundenen Israeli erzählt. Abgetaucht, in Hamburg,
im Januar. Ort und Zeit stimmen. David Rosenbaum, Interrogationsexperte beim
Mossad. Irgendwas Mitte fünfzig. Deutschstämmig. Aus Hamburg.«
    Anna sah Christian verwundert an. »Du glaubst doch nicht, dass es
Rosenbaum war, der in den Siebzigern im Iran die Geschichten von den Hamburger
Nutten erzählt hat?«
    Ratlos zuckte Christian mit den Schultern: »Ich weiß zu wenig, viel
zu wenig. Trotzdem, ich habe so ein nerviges Gefühl … dass ich vor einer Wand
stehe, in der eine geheime Tür ist. Nur, verdammt noch mal, ich kann sie nicht
sehen! Aber sie ist da, ich weiß es!«
    Wach. Wieder wach. Schmerz. Überall Schmerz. Licht. Ein
wenig. Grau. Hellgrau. Umrisse. Rascheln. Pfeift. Durst. Bewegen. Fuß. Metall.
Augen auf. Blut spucken. Atmen. Da, Fuß. Metallring. Schelle. Stahl. Gefesselt.
Kein Gefühl. Zwei Ratten. Nagen. Am Fuß. Weg! Weg! Huschen. Durch die Maden,
über die Maden. Madenberge. Riesige Madenberge. Zwei Berge. Ein Meer. Wimmelt.
Überall! Weiße und gelbe. Große und kleine. Fleisch. Matschig. Nass. Stinkt.
Faul. Verwesung. Oh Gott! Oh Gott! Nicht. Nicht. Nicht ich. Ich. Schrei. Schrei
einfach. Schrei.
    Draußen auf einer bemoosten Lichtung, zwischen den Bäumen,
zuckten drei äsende Rehe zusammen und sprangen mit eleganten Sätzen davon.
    Nein, Schluss. Raus hier. Ich will das nicht. Nicht
sterben. Reiß dich zusammen! Spuck das Blut aus. Hol Luft. Atme. Sieh dich um.
Du kannst. Doch, du kannst! Die Tüte, nimm die Tüte. Beide Hände frei. Weg mit
den Maden. Ratten. Schieb die Maden weg. Spuck die Kotze aus. Atme. Hol Luft.
Durst. Müde. Ruh dich aus. Nur nicht sterben.
    Die Rehe ästen inzwischen am Waldrand. Wo das Gras schön
grün und fett war. Wo es sich in einem

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