Eisblut
langen, breiten, gewundenen Streifen an
den Wald heranrollte wie ein Teppich mit akkurat geschnittener Wolle. Lange
würden die Rehe hier nicht mehr grasen. Es war eigentlich schon viel zu spät
für den Teppich. Die Bunten würden kommen, die Rehe gehen. Und sie kamen.
Gleich drei. In bunt-karierten Hosen, mit schwarz-weiÃen oder braun-weiÃen, flachen
Schuhen, Polohemden mit warmen Jacken darüber, Schals, albernen Mützen und
einem Schläger in der Hand. Der Caddy fuhr mit einem Wagen hinter ihnen her und
transportierte die Golftaschen mit den Eisen und Hölzern.
Musst es tun. Musst. Sei froh. Tolle Tüte. Mama.
Lippenstift. Mama. Quatsch. Lüge. Alles Lüge. Hänschen klein, ganz allein ⦠Tu
es. Musst einfach. Blut ausspucken. Atmen. Tut weh. Alles tut weh. Verscheuch
die Ratten. Nimm das Messer. Nimm den FuÃ. Nicht sterben. Nicht krepieren. Tu
es, du Feigling. Hänschen klein, ganz allein, ging er in die Welt ⦠Tut nicht
weh, tut gar nicht weh, geht, geht, ist doch okay, spuck das Blut aus, atme,
mach weiter, tut gar nicht weh ⦠in die Welt hinein, Stock und Hut, noch mehr
Blut â¦
»Liebes, es ist wirklich toll, dass du mich überredet
hast, heute mit rauszukommen.«
»Ich habe dir doch gesagt, es regnet nicht.«
»Aber das Gras ist nass, ruiniert mir meine neuen Callaway-Schuhe.
Und mit diesen hässlichen Mudskippern, wie du sie trägst, kann ich mich einfach
nicht anfreunden. Ich kann übrigens nachher nicht mehr mit euch im Club essen,
seid mir nicht böse. Und kein Wort zu meinem Mann, okay?«
Helles Lachen perlte über das Green. Der Caddy fuhr gelangweilt und
in angemessener Entfernung mit dem Cart hinter den drei Damen her und bemühte
sich, wegzuhören. Dabei war es nun wirklich ein offenes Geheimnis, dass diese
schlecht geliftete Frau Von und Zu ihren Mann mit dem Golflehrer betrog. Der
Caddy hasste seinen Job. Er hasste diese arroganten Geschäftsmänner, die sich
in Jovialität gefielen, und ihre aufgeblasenen Weiber, die nie mit ihm ins Bett
gehen würden, denn er war hässlich und auf der untersten sozialen Stufe des
Golfclubs.
»Wo ist denn bloà dieser blöde Ball?«
»Du hast ihn dahinten hingeschlagen ⦠wo eben noch die Rehe waren.«
»Was, so weit? Ein phantastischer Push-Slice.«
»Ja. Nur zu weit nach rechts abgedreht.«
Kriech weiter. Schaffst es. Raus aus den Maden. Weg von
den Ratten. Spuck das Blut aus. Müde, so müde. Weiter. Nicht aufgeben. Weiter.
Noch einen Zentimeter. Noch einen. Schmerzt. Alles. Durst. Nasses Laub. Laub
lecken. Kühlt. Blut warm. Spuck. Kriech. Noch einen. Luft, ja, Luft. Licht!
Noch einen. Nicht krepieren. Weiter. Müde. So müde. Weiter. Noch einen
Zentimeter. Lacht. Da lacht es. Es lacht! Mama, bist du das?
»Kann ich nicht einen neuen Ball schlagen? Von hier aus?«
»Spinnst du? Das ist gegen die Regeln.«
»Seit wann hältst du dich an Regeln?«
»Sei nicht so faul. Lauf rüber und such den Ball.«
»Blödes Spiel.«
Gleich. Gleich bin ich da. Horizont. Licht. Hell. Luft.
Noch einen Zentimeter. Nur noch einen.
Ein spitzer Schrei gellte über das Green. Die beiden
Frauen sahen zu ihrer Freundin am Waldrand.
»Was hat sie denn?«
»Wahrscheinlich eine Feldmaus, die mit ihrem Golfball spielt.«
Am Waldrand die Frau schrie und schrie. Sie sah mit geweiteten Augen
hinab auf den nackten, blutigen Klumpen Fleisch, der vor ihr lag, bewusstlos,
wie von einem Tier gerissen, kaum noch als Mensch zu erkennen.
Christian zahlte gerade das Frühstück, das sie nicht angerührt
hatten, als sein Handy klingelte. Es war Pete: »Beweg deinen Hintern nach
Reinbek. Dort ist in der Notaufnahme ein schwer verletzter junger Mann
eingeliefert worden, ihm fehlen ein paar Körperteile, vermutlich abgeschnitten.
Volker ist schon unterwegs zu dem Golfplatz im Sachsenwald, wo er gefunden
wurde, ich fahre ins Krankenhaus. Dort treffen wir uns. Soll dich Herd
mitnehmen? Der holt gerade Karen ab.«
Christian warf einen schnellen Blick zu Anna: »Kannst du mich nach
Reinbek fahren? Blödsinn, lass, das ist nichts für dich, sorry. â Pete, sag
Herd, er soll mich in Winterhude â¦Â«
Anna nahm ihm den Hörer aus der Hand. »Pete, ich bringe Chris. Wir
sind schon unterwegs.«
Eine gute Dreiviertelstunde später trafen sie im Reinbeker
Krankenhaus ein, wo Pete
Weitere Kostenlose Bücher