Eischrysanthemen
schmale Schulter, doch Kira drehte sich ruckartig um und streifte Vincents Hand in einer Bewegung ab. Er sah sehr wütend aus und verletzt. Vincents Herz sank noch tiefer.
„Fass mich nicht an“, wurde er auch gleich angefaucht. Der letzte Zweifel, wie der Text auf Kira gewirkt hatte, wurde an dieser Stelle ausgeträumt.
„Das ist nicht so, wie es aussieht“, versuchte Vincent zu erklären und atmete tief durch, um sich zu fangen und zu beruhigen.
„Ach ja? Wie sieht es denn aus?“, zischte Kira noch relativ leise, denn um sie herum gingen Menschen und ihm lag vermutlich nichts daran, Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. „Du hast mich angelogen. Ich habe dir alles erzählt, ich habe dir vertraut und du hast nichts Besseres zu tun, als es gleich in deinem Artikel zu verarbeiten. Glückwunsch, ich bin sicher, dass du den Job bekommen wirst.“
Vincent hatte das Gefühl, als würde eine Mauer zwischen ihnen wachsen, eine, durch die er Kira zwar sehen, aber nicht mehr erreichen konnte. Es war wie bei ihrer ersten Begegnung, als er ihn nicht hatte einschätzen können, und jetzt konnte er es wieder nicht. Hätte Vincent seine Entscheidung nicht schon am Tag zuvor getroffen, vielleicht hätte er jetzt versucht, die Wogen zu glätten. Aber so entschloss er sich, der Konfrontation nicht aus dem Weg zu gehen. Er griff nach Kiras Handgelenk und zog ihn von der belebten Straße weg, in eine der kleinen Nebenstraßen, in der es etwas ruhiger war. Kira versteckte den Widerwillen nicht, mit dem er sich mitziehen ließ, aber offenbar hatte er beschlossen, keine Szene zu machen und fügte sich darum.
Erst als sie weit genug von der überfüllten Straße entfernt waren, entzog er seine Hand Vincents Griff und verschränkte die Arme vor der Brust. Er sagte nichts, und Vincent verstand, dass er nun auf die Ausreden wartete, die Vincent ihm auftischen würde. Nur wollte Vincent ihm gar keine Ausreden erzählen, er wollte ehrlich sein. Die Frage war, ob Kira ihm glaubte.
„Das war kein Artikel, den du gelesen hast“, versuchte er ruhig zu erklären, was sich angesichts der kühlen Mauer, die um Kira gewachsen war, als ziemlich schwierig erwies.
„So? Und was dann? Dein Tagebucheintrag?“ Die schnippische Frage war wie ein Tritt, aber Vincent verkniff sich jegliche barsche Erwiderung. Er konnte sich vorstellen, wie das alles auf Kira wirken musste.
„Gib doch zu, dass du nur deinem Kollegen zuvorkommen wolltest!“
„Nein, das wollte ich nicht. Wie kannst du glauben, dass ich etwas, was du mir im Vertrauen erzählt hast, in die Welt rausposaunen würde? Außerdem schreibe ich für ein Kulturmagazin und nicht für irgendein Schmierblatt. Hör mir bitte zu. Dieser Text, der sollte nicht in den Druck gehen. Ich habe das bloß für mich aufgeschrieben“, versuchte er weiter zu erklären. Kira glaubte ihm nicht, das sah man ihm deutlich an.
„Ich glaube dir nicht.“ Kiras Worte waren leise, und der Bruch zwischen ihnen wurde immer größer. „Ich werde in zwei Tagen abreisen und ...“ Seine Stimme brach, und er drehte den Kopf weg.
Vincent hätte ihn gerne an sich gezogen, aber er wollte Kiras Zorn nicht noch weiter entfachen. Ratlos stand er vor ihm, nach Worten suchend, die seine Unschuld erklären würden, bis er schließlich nach seinem Handy griff, das ausnahmsweise einen vollen Akku hatte.
„Ich werde dir beweisen, dass ich es ernst meine“, sagte er entschlossen. Seine Hand zitterte leicht, als er wählte und das kleine Gerät auf Lautsprecher stellte. Das Tuten ließ Kiras Blick zurück zu Vincent kehren. Erst sah es so aus, als würde niemand rangehen, aber dann meldete sich die Sekretärin von Mr. Ferrys. Ihre ruhige Stimme wurde von dem Lärm im Hintergrund untermalt. „Hier ist das Büro von Mr. Ferrys, was kann ich für Sie tun?“
„Ich bin’s, Vincent Wood, ich möchte gerne Mr. Ferrys sprechen“, sagte Vincent mit fester Stimme, ohne die Augen von Kira zu lösen, der noch immer misstrauisch wirkte.
„Oh, da muss ich erst nachsehen, ob er da ist. Einen Moment bitte“, gurrte die Sekretärin weiter, und es erklang Fahrstuhlmusik, welche die Spannung zwischen den Männern nicht abmilderte, sondern nur noch steigerte. Nach fast einer halben Minute hörte das Gedudel abrupt auf.
„Ferrys hier“, röhrte es aus dem Telefon, dieses Mal ohne Hintergrundgeräusche. Vincent ergriff kein sonderlich gutes Gefühl, aber er wollte Kira um jeden Preis bei sich halten und darum kniff er auch vor den
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