Eischrysanthemen
bitte nicht stören Schild an der Tür … Ich komme später noch mal“, stotterte sie und floh mit hochrotem Kopf aus dem Raum.
Vincent sah ihr irritiert nach, bis ihm klar wurde, dass er alleine im Bett lag. Von Kira war weit und breit nichts zu sehen. Er hatte doch nur kurz die Sachen packen wollen, aber es war kein Geräusch zu hören. Vincent warf einen Blick auf die Uhr und sah, dass es bereits zehn Uhr war. Um vierzehn Uhr ging Kiras Flug zurück nach Tokyo und er hatte Vincent nicht geweckt! War er vielleicht noch kurz irgendwohin gegangen? Vincent sprang aus dem Bett, aber im Nebenraum war von Kiras Koffern nichts zu sehen. Weder seine Jacke noch sonst etwas deuteten darauf hin, dass er zurückkommen würde. Vincents Magen drehte sich um, als ihm das klar wurde. Kira hatte ihn schlafen lassen und sich selbst fortgestohlen! Warum, konnte sich Vincent jedoch nicht erklären. Als er sich genauer umsah, entdeckte er seine Sachen ordentlich auf dem Sofa zusammengelegt und auf ihnen einen weißen Umschlag. Unsicher griff er nach dem Umschlag, auf dem sein Name stand, und öffnete ihn. Im Innern befanden sich ein Brief sowie ein Flugticket. Auf elegantem Hotelpapier hatte Kira ihm das hinterlassen, was er ihm wohl nicht ins Gesicht hatte sagen können. Vincent setzte sich auf den Sofarand und begann zu lesen.
„Lieber Vincent, es tut mir leid, dass ich dich nicht geweckt habe, aber ich mag keine tränenreichen Abschiede und bei uns wäre es sicherlich einer geworden. Gestern habe ich das Hotel gebeten, ein Flugticket für dich zu reservieren. Es liegt diesem Brief bei, denn ich weiß nicht, wann ich wieder nach London kommen werde. Daher hoffe ich, dass du die Möglichkeit ergreifst, zu mir zu kommen. Es muss nicht sofort sein, aber vielleicht, wenn die Kirschblüten blühen? Du sagtest, dass du dieser Beziehung eine Chance geben willst und das will ich auch.“ Darunter stand nur noch Kiras Name. Vincents Kopf war vollkommen leer, bis er aufsprang und sich in aller Hektik anzukleiden begann. Wenn er sich beeilte, dann würde er Kira am Flughafen noch erwischen, selbst wenn er damit seinen Wunsch ignorierte.
Das Glück blieb ihm hold, denn vor dem Hotel stieg gerade ein Gast aus einem Taxi, in welches Vincent sich schwang. Der Fahrer fuhr los, und obwohl Vincent ihn gerne aufgefordert hätte, schneller zu fahren, unterließ er es. Auch ohne diesen Hinweis wusste Vincent, dass man ihm ansah, dass er es eilig hatte, denn er blickte immer wieder auf seine Uhr. Auf jeden Fall war der morgendliche Berufsverkehr schon vorüber. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis das Flughafengebäude in Sicht war und das Taxi vor dem Abflugterminal hielt. Als Vincent den Preis für die Fahrt bezahlte, sah ihm der ältere Fahrer ins Gesicht.
„Sie sollten sie gehen lassen, wenn sie nicht will. Auch andere Mütter haben schöne Töchter“, sagte er.
Vincent brauchte einige Momente, bis er verstand, was der Mann meinte und lächelte flüchtig.
„Möglich, aber keine wäre wie er“, murmelte er und lief dann ins Flughafengebäude. Es war unglaublich voll, und der Lärm der vielen Stimmen ließ ihn für Augenblicke die Orientierung verlieren. Wie sollte er Kira in diesem Gewühl finden? Vincent folgte den Schildern, die zum Ticketschalter führten. Da er zumindest wusste, um wie viel Uhr Kiras Flugzeug abfliegen würde, konnte er auf diese Weise die Fluggesellschaft rausfinden. Vor dem entsprechenden Schalter standen – gefühlt – eine Million Menschen in der Reihe, unter ihnen ein Meer aus Koffern sowie mehrere Horden Kinder, die plärrend hin und her liefen. Unruhig lief Vincent das hintere Ende der Schlange ab, aber hier waren keine Asiaten dabei, also arbeitete er sich weiter vor und kam endlich zu den elastischen Absperrbändern, die die Menschenmenge in einem Zickzackmuster zum Schalter führten.
„Hey, Moment mal! Sie können hier nicht einfach durch, wir warten schließlich alle“, fuhr ihn ein gereizter Familienvater an, der die Nase schon jetzt von seinen drei Kindern voll zu haben schien.
„Tut mir leid, ich will mich nicht vordrängeln, ich suche nur jemanden“, versuchte Vincent zu erklären. Der Versuch, sich an dem Mann vorbeizuschieben, misslang. Der Riese stellte sich ihm in den Weg und funkelte Vincent gereizt an.
„Das sagen sie alle und dann drängeln sie sich vor!“
„Aber ich ...“, begann Vincent und brach ab, als er endlich eine kleine Gruppe von Japanern erkannte. War das dort
Weitere Kostenlose Bücher