Eisenhand
dann eilte sie mir nach.
»Danke, daß du dir Zeit genommen hast für die Puppe«, flüsterte Helena, als ich im Gehen ihre Hand nahm. »Und das, obwohl du doch soviel um die Ohren hast …«
Ich winkte ab. »Wozu riskiere ich schließlich meinen Hals, wenn nicht für eine Welt, in der Kindern der Glaube bewahrt bleibt, daß immer ein Zauberer da sein wird, der ihr zerbrochenes Spielzeug wieder heil macht.« Es klang ziemlich abgedroschen, aber genau das fand ich tröstlich. Ein Held zu sein lohnt sich nur, wenn man auch nach Herzenslust Banalitäten runtersülzen kann.
»Augustinillas Zahn sieht wirklich böse aus, Marcus. Hast du was dagegen, wenn ich mit ihr zu einem heilenden Schrein gehe?«
Nein, hatte ich nicht, vorausgesetzt, man würde nichts unversucht lassen, um das Kind dort in einer geweihten Quelle zu ersäufen.
Wir gingen hinunter zum Fluß, und es gelang mir sogar, einen Garten zu finden. Wir waren fast in den Iden des Oktober, und doch duftete es noch nach Rosen, auch wenn wir sie nicht sehen konnten. »Sie müssen eine Züchtung haben, die mehrmals im Jahr blüht, wie die Zentifolie in Paestum …« Ich warf den Kopf in den Nacken und atmete tief ein. »Das erinnert mich an einen anderen Garten, Helena, einen Garten am Ufer des Tiber, wo mir eines Abends klargeworden ist, wie unsterblich verliebt ich bin.«
»Du sprühst ja heute vor zündenden Einfällen, Marcus.« Sie zitterte unter der dünnen Stola, und ich zog sie fest an mich, damit ich uns beide in meinen Mantel wickeln konnte. Sie war grantig und auf Abwehr bedacht. »Was machen wir eigentlich hier?«
»Du mußt mit mir reden.«
»Allerdings«, bekräftigte sie. »Das habe ich ja auch schon den ganzen Abend versucht, aber hörst du mir überhaupt zu?«
»Nun sei doch nicht so! Deshalb sind wir ja hier, damit ich dir endlich in Ruhe zuhören kann.«
Vor meiner unschlagbaren Logik gab sie seufzend klein bei. »Danke schön.« Sie befreite einen Arm aus meinem Mantel und deutete übers Wasser. Der Fluß war hier nicht mehr so breit wie in Moguntiacum, aber in der Dunkelheit konnte man kaum das andere Ufer ausmachen. Falls drüben Lichter brannten, so waren sie von hier aus jedenfalls nicht zu sehen. »Schau mal da rüber, Marcus. Das ist fast ein anderer Kontinent. Dort drüben erwartet dich das genaue Gegenteil von allem, was römisch ist. Nomadenvölker. Namenlose Götter in wilden Hainen. Keine Straßen. Keine Festungen. Keine Städte. Kein Forum; keine Thermen; keine Gerichte. Keinerlei Organisation und keine Instanz, die im Notfall weiterhilft.«
»Und keine Helena«, sagte ich.
Ich war mir ziemlich sicher, daß sie mich bitten würde, nicht zu gehen. Und vielleicht hatte sie das ja auch vorgehabt. Statt dessen fand sie trotz der Finsternis einen Rosenstrauch und brach uns eine Blüte ab. Bei Rosen braucht man dazu ganz schön Kraft. Und die hatte sie, wenn’s drauf ankam.
Gemeinsam schnupperten wir den betörenden Duft. »Also, hier bin ich, Liebste. Und ich höre zu.«
Sie saugte an einer Fingerkuppe, wo sie ein Dorn gestochen hatte. »Claudia hat recht. Du beschützt mich. Seit wir uns kennengelernt haben, warst du immer für mich da – ob ich’s wollte oder nicht. Dabei hatte es anfangs fast den Anschein, als ob du mich gar nicht leiden könntest; trotzdem hast du damals schon angefangen, mich zu ändern. Ich war immer die Erstgeborene, die große Schwester, die ältere Cousine, die Eigensinnige, Herrische, die Vernünftige , Immer hieß es: ›Helena Justina kann selbst auf sich aufpassen‹ …«
Ich ahnte, worauf sie hinauswollte. »Die Leute lieben dich, mein Schatz. Deine Familie, deine Freunde, meine Familie … und sie sind alle genauso um dich besorgt wie ich.«
»Aber du bist der einzige, von dem ich mir es gefallen lasse.«
»War es das, was du mir sagen wolltest?«
»Manchmal habe ich Angst, dich merken zu lassen, wie sehr ich dich brauche. Dann kommt es mir vor, als wäre das einfach zuviel verlangt, nach allem, was du mir schon gegeben hast.«
»Du kannst verlangen, was du willst.« Ich wartete immer noch auf die große Bitte, die Bitte, nicht zu gehen. Ich hätte es besser wissen müssen.
»Versprich mir nur, daß du zurückkommst.« Helena sagte das ohne jede Theatralik. Und ihre Bitte bedurfte keiner Antwort. Für zwei Gerstenkörner hätte ich dem Kaiser gesagt, er solle sich seinen Auftrag in Weinblätter einwickeln und mit seinem triumphalen Streitwagen darüberpreschen. Aber das wäre Helena
Weitere Kostenlose Bücher