Eisenhand
einen Tribun. Selbst wenn er, laut meiner Nichte, empfindsame Augen hatte. Nun, er würde es schon noch lernen.
Helena Justina stand natürlich auf Sophonisbes Seite.
Wir hatten die Grenzen meiner früheren Germanienfahrt schon hinter uns gelassen. Damals war ich bis nach Colonia Agrippinensium gekommen, wo die große Claudische Straße westwärts durch Gallien dem Fährhafen nach Britannien entgegenführte. Die großen Kastelle Novaesium und Vetera waren bisher für mich nur Namen auf der Karte gewesen. Und von den kleinen Stützpunkten in Gelduba und Asciburgium hatte ich wahrscheinlich auch schon gelesen, aber man kann schließlich nicht alles behalten. Von Britannien abgesehen, markierten diese Festungen die Grenzen des römischen Imperiums. Wir hatten oben im Norden nie einen guten Stand gehabt, ja, Rom konnte sich dort überhaupt nur behaupten, weil es mit den Batavern Sonderkonditionen aushandelte. Unsere Vorposten wieder einzurichten und die Allianz der Bataver als Puffer gegen die wilden Völker im Osten zurückzugewinnen würde alles andere als einfach werden.
Inzwischen waren wir über die Iden des Oktober hinaus, und als wir in den Norden kamen, schlug das Wetter plötzlich um. Abends wurde es merklich früher dunkel, und selbst bei Tage wich das goldene Herbstlicht, das so weich und schmeichelnd über Moguntiacum geleuchtet hatte, einem grauverhangenen Dunst. Nicht zum ersten Mal graute mir vor der riesigen Strecke, die noch vor uns lag.
Auch die Landschaft veränderte sich allmählich. Die dramatischen Felshänge und die verträumten Inseln blieben hinter uns. Manchmal sah ich vom Schiff aus anmutige Hügelketten, in die den Legaten der Vierzehnten sein Jagdausflug geführt haben mochte – falls er auf der Jagd war! Hoch über uns zogen Schwärme von Wildgänsen und anderen Zugvögeln südwärts und schürten mit ihren heiseren Rufen unsere bangen Vorahnungen. Je aufgeregter die Rekruten wurden, desto stiller schien mir ihr Zenturio. Der Hausierer schmollte wie gewohnt. Justinus litt unter einem Anfall romantischer Melancholie. Ich war einfach nur deprimiert.
Immer deutlicher machte sich die Nähe der anderen Wasserstraßen bemerkbar, die sich ebenfalls ins Rheindelta ergossen: aus Gallien die Mosa, der Vaculus als zweiter Rheinarm und dazu eine Vielzahl unbedeutender Nebenflüsse, die samt und sonders größer und mächtiger waren als jeder unserer heimischen Flüsse. Die tiefhängenden Wolken am Himmel waren von jenem düsteren Schiefergrau, das ich schon vom britannischen Meer her kannte – dem wildesten Ozean der Welt. Vereinzelt sahen wir jetzt schon Meeresvögel, und unter die Eichen, Erlen und Weiden am Flußufer mischten sich Riedgras und Moorblumen. Es gab noch keine ausgebaute Militärstraße hier oben. Die Besiedelung wurde auf unserer Seite des Flusses immer spärlicher, und viele der weit auseinanderliegenden Keltensiedlungen waren noch vom Bürgerkrieg verwüstet. Die meisten wurden von trutzigen römischen Grenztürmen bewacht. Die andere Rheinseite wirkte gänzlich unbewohnt.
Wir verbrachten eine Nacht in Novaesium, in dessen kürzlich wiederaufgebautem Kastell quirliges Leben herrschte. Dann ging es, vorbei an der Mündung der Lupia, noch ein letztes Stück weit flußabwärts, bis wir zu unserer Linken Vetera liegen sahen.
Ehrlich gesagt, freute ich mich nicht besonders darauf, hier an Land zu gehen. Und unser Zenturio weigerte sich rundheraus, das Schiff zu verlassen.
XLI
Der Kapitän hatte getan, was er konnte, um uns noch vor Einbruch der Dunkelheit nach Vetera zu bringen und uns in dieser unsicheren Gegend einen provisorischen Ankerplatz zu ersparen. Aber dann war es doch schon Nacht, als wir ankamen – die ungünstigste Ankunftszeit, selbst in einer gut gesicherten Festung. Wir hätten natürlich alle an Bord bleiben können, aber dort war es sehr eng, und die Rekruten wollten sich gerade in einer so berühmten Stadt den Landgang nicht entgehen lassen.
Wenn wir jetzt noch Quartier bekommen wollten, hieß es sich sputen. Justinus redete auf den Zenturio ein und wollte ihn schon per Befehl die Landeplanke hinunterexpedieren.
»Lassen Sie ihn!« sagte ich knapp.
»Aber in Jupiters Namen …«
»Lassen Sie ihn einfach in Ruhe, Camillus.«
Helvetius stand unbeweglich auf der anderen Seite des Schiffes und starrte mit ausdruckslosem Gesicht über den Fluß. »Aber warum macht er so ein …«
»Helvetius hat seine Gründe.« Inzwischen wußte ich auch, welche.
Wir
Weitere Kostenlose Bücher