Eisenhand
setzten die Rekruten in Marsch, meldeten uns in einem dunklen Empfangsgebäude und bekamen Unterkünfte zugeteilt. Die eigentliche Festung lag in einiger Entfernung vom Fluß, und so erschraken wir nicht schlecht, als wir entdeckten, daß man uns praktisch am Ankerplatz unseres Schiffes untergebracht hatte. Das Quartier, nichts weiter als rohe Holzverschläge, stand auf dem Kai. Die Rekruten, die sich schon auf die Annehmlichkeiten eines großen Stützpunktes gefreut hatten, maulten über dieses seltsame Provisorium, und sogar Justinus schien dagegen meutern zu wollen. Als wir unsere Sachen verstaut hatten, ließ ich die Männer antreten. Das trübe Licht einer einzelnen Kerze warf unheimliche Schatten auf die Gesichter, und wir sprachen unwillkürlich mit gedämpfter Stimme.
»Tja, Jungs, das ist ein schlechter Anfang, ich weiß. Ihr wundert euch, warum man uns nicht rauf ins Lager gelassen hat. Offenbar haben die batavischen Rebellen es völlig verwüstet und unbewohnbar gemacht. Ihr seht ja selbst, daß sogar die hier stationierten Truppen in Zelten und Behelfsunterkünften hausen, während ein neues Lager errichtet wird.«
»Aber warum können wir nicht wenigstens in den alten Festungsmauern übernachten?«
»Das werdet ihr morgen, wenn’s hell wird, mit eigenen Augen sehen können. Bis dahin müßt ihr halt eure Phantasie strapazieren. Die Festung bleibt im Moment deshalb leer, weil dort viele, viele Römer unter Qualen gestorben sind. Also nehmt euch ein Beispiel an den hier stationierten Soldaten, und erweist dem Ort der Trauer den gebührenden Respekt.«
»Aber, Falco, ich dachte, die Legionen in Vetera treiben Handel mit dem Feind?« Die Jungen kannten keinerlei Ehrfurcht. Nun, morgen würde sich das ändern.
»Nein, Soldat.« Diesmal ergriff Justinus das Wort. Er hatte begriffen, worauf ich hinauswollte und seine Stimme klang sachlich und ruhig. »Die Legionen in Vetera haben in verzweifelter Lage tapfer ausgeharrt. Einmal ist es zwar soweit gekommen, daß Voculas Ersatztruppen ihre Dienste ans Gallische Reich verkauften, aber wir dürfen nicht vergessen, daß es zu dem Zeitpunkt so aussah, als wäre die ganze Welt aus den Fugen und das Rom, dem sie Treue geschworen hatten, würde gar nicht mehr existieren.«
Die Rekruten hatten zunächst noch mit spöttischen Einwürfen reagiert. Die meisten von ihnen waren in der jüngsten Geschichte überhaupt nicht bewandert und kannten bestenfalls ein paar Lokalanekdoten, wie die von den Vitellianer-Soldaten, die in einem Dorf drei Meilen weiter eine Kuh getötet hatten. Aber als Justinus jetzt zu ihnen sprach, wurden sie still und lauschten so aufmerksam, als hätten sie einen Spukgeschichtenerzähler an den Saturnalien vor sich. Er war in der Tat ein guter und gründlicher Lehrmeister. »Hier oben, müßt ihr wissen, traf es die Legionen am härtesten. Es stimmt freilich, daß die Fünfte und die Fünfzehnte einen Legaten hingerichtet haben.« Er meinte natürlich den Vocula. »Aber ergeben haben sie sich erst, als Civilis sie fast hatte verhungern lassen. Und dann wurden sie abgeschlachtet. Manche wurden getötet, als sie unbewaffnet vor die Tore traten; andere flohen in die Festung zurück, wo sie elend in dem vom rasenden Civilis gelegten Feuer umkamen. Was immer diese Männer sich vorher hatten zuschulden kommen lassen – sie haben dafür bezahlt. Der Kaiser selbst hat sich entschlossen, ihren Schild reinzuwaschen, wie könnten wir uns da ein anderes Urteil anmaßen? Hört auf Didius Falco! Keiner von uns hat das Recht, über die Legionen, die hier gekämpft haben, den Stab zu brechen, solange wir nicht sicher sind, was wir an ihrer Stelle getan hätten.«
Die Rekruten waren ein verlotterter Haufen, aber nicht unempfänglich für die Stimme der Vernunft. Justinus’ Appell hatte ihnen einen ziemlichen Dämpfer versetzt, aber sie auch neugierig gemacht. »Tribun, warum wollte Helvetius nicht mit uns an Land?«
Justinus sah mich hilfesuchend an. Ich atmete tief durch. »Das müßt ihr ihn schon selbst fragen.«
Ich vermutete, daß der Zenturio nicht zum ersten Mal in Vetera war. Wahrscheinlich gehörte Helvetius zu einer der vier in Ungnade gefallenen germanischen Legionen, die Vespasian aufgelöst und auf andere Einheiten verteilt hatte. Wenn das stimmte, dann war Helvetius einer der wenigen Überlebenden der Fünften oder der Fünfzehnten.
In dem Fall wären mir seine Motive, an meiner Expedition teilzunehmen, fragwürdig erschienen, und ich hätte
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