Eisenhand
Vegetation hatte buchstäblich jeden Fußbreit Boden innerhalb der Wälle in Besitz genommen.
»Ob hier gekämpft worden ist, Falco?«
»Jedenfalls sind keine Leichen zu sehen.«
Helvetius war der einzige, der vom Pferd stieg und einen Erkundungsgang unternahm. Aber auch er wagte sich nicht sonderlich weit vor. Nach ein paar Schritten blieb er stehen, bückte sich und hob etwas auf. »Sieht nicht so aus, als ob dieses Lager aufgegeben worden wäre«, murmelte er verwundert.
Als er sich aufrichtete und suchend weiterging, faßten wir uns ein Herz und folgten mit einigem Abstand. Die weite, offene Fläche innerhalb der Wehr deutete darauf hin, daß wir ein ehemaliges Zeltlager vor uns hatten, wo die länglichen, ledernen »Schmetterlinge« in Reihen im Hof aufgeschlagen wurden. Aber wo immer die Streitkräfte längere Zeit Quartier nehmen, sind zumindest Vorratshaus und Principia aus wetterfestem Material. Nach denen suchten wir nun an ihrem angestammten Platz im Lagergeviert. Wegen der soliden, gefliesten Fußböden hätte das Unkraut sich hier eigentlich noch nicht sehr breitmachen dürfen, und doch stießen wir auf verwilderte Fundamente mit modernden Balken, zwischen denen sich Trümmer türmten.
»Was halten Sie davon, Zenturio?« fragte Justinus, der vor Schlafmangel und Sorge ganz käsig aussah.
»Das Lager ist zwar leer, aber nicht vorschriftsmäßig gebaut worden.«
»Sie sind in ein festes Winterquartier umgezogen«, sagte ich und war meiner Sache ziemlich sicher. Schrein und Tresorkammer, beides solide Steinkonstruktionen, standen noch. Natürlich fehlten Banner und Adler auf dem Schrein. Die Goldadler, die hier einst stolz ihre Schwingen spreizten, hatte ich anderswo gesehen: im Marstempel in Rom.
Helvetius sah mich an. Auch er wußte, worauf wir gestoßen waren. »Stimmt, Falco! Die Gebäude sind zurückgelassen worden. Strenggenommen nicht zulässig, aber sie dachten natürlich, sie würden im Frühjahr zurückkommen.«
Er war tief bewegt. Ich übernahm es, die Rekruten aufzuklären. »Ihr kennt ja alle die Vorschriften und wißt, in welchem Zustand ein Feldlager zu verlassen ist.« Sie hörten aufmerksam zu, aber an ihren Blicken sah ich, daß sie keine Ahnung hatten. »Alles, was sich wiederverwenden läßt, wird abtransportiert. Zum Beispiel nimmt man die Stützsprossen des Palisadenzauns mit, um sie im nächsten Lager wieder einzusetzen. Jeder Soldat trägt zwei Sprossen.«
Wir schossen herum. Hinter uns auf den Befestigungswällen kollerten Zaunteile über den Wehrgang, zum Teil noch zusammengefügt wie Hofgatter, die ein Orkansturm umgerissen hat. Andere Teile waren offenbar verfault, ebenso die Treppen. Zeit und Witterung hatten diese Zerstörung vollbracht, nicht rohe Gewalt.
»Alles übrige wird verbrannt«, nahm Helvetius den Faden wieder auf. »Nichts, was dem Feind nützen könnte, bleibt zurück – vorausgesetzt, ein Feind ist in der Nähe.« Er beklopfte die halb verrottete Tresorkammer. »Dieses Lager war geräumt!« rief er, und es klang fast wie ein Tadel gegen den groben Regelverstoß. »Aber dann haben Plünderer hier offenbar gründliche Arbeit geleistet. Errichtet wurde das Lager, wie ihr selbst seht, von Römern – Römern, die so naiv waren, zu glauben, sie könnten hier unbesorgt wie harmlose Hausväter herausspazieren und den Schlüssel unter die Fußmatte legen.« Langsam redete der Zenturio sich in Rage. »Die armen Idioten hatten offenbar keine Ahnung von der Gefahr, in der sie schwebten!«
Als er jetzt zu uns trat, ballte er die Faust mit dem Gegenstand, den er aufgelesen hatte.
»Wer waren diese Römer, Zenturio?«
»Die drei Legionen, die Arminius hier in den Wäldern niedergemetzelt hat!« schrie Helvetius. »Oh ja, es hat einen Kampf gegeben – ach, ihr Götter, was für einen Kampf! Aber die Gefallenen sind nicht mehr da, weil später Germanicus gekommen ist und sie begraben hat.«
Er öffnete die Faust und hielt uns seinen Fund hin. Eine Silbermünze. Sie trug das Sonderzeichen, das P. Quinctilius Varus dem Sold seiner Soldaten einzustanzen pflegte.
Nicht viele dieser Geldstücke sind je in Rom in Umlauf gekommen.
XLVI
Irgendwo in dieser Gegend mußte das Grabmal stehen. Jene Totengedenkstätte, wo Germanicus mit eigener Hand die Grassamen ins Erdreich geklopft hatte – gegen Tradition und Sitte, da er zu der Zeit auch das Priesteramt bekleidete. Doch hier war er in erster Linie Soldat gewesen. An dieser trostlos verödeten Stätte konnten wir das
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