Eisenhand
Wildwechsel. Aber die Luft wehte uns jetzt unheilschwanger entgegen, und das Tageslicht schwand beängstigend rasch. Unsere Stiefel hatten sich voll Tau gesogen und schwappten nun bei jedem Schritt plump und quietschend. Reisig und abgestorbene Zweige knackten unter unseren Schritten lauter, als mir lieb war. Wahrscheinlich konnte man uns mindestens zwei Meilen weit kommen hören.
Und dann öffnete sich urplötzlich der Wald.
Ich war müde. Ich fühlte mich unwohl und fror erbärmlich. Zuerst traute ich meinen Augen nicht. Dann begriff ich, warum dem Rekruten seine Entdeckung solche Angst eingejagt hatte.
Über der stillen Lichtung, die wir betreten hatten, hingen silbrigweiße Nebelschwaden. Es schien eine ungewöhnlich große Rodung – oder zumindest war sie’s mal gewesen. Jetzt erstreckte sich zu unseren Füßen dichtes, undurchdringliches Dornengestrüpp, unter dem der Boden erst abschüssig schien, in einiger Entfernung aber terrassenförmig wieder anstieg und hinter einer Art Wall abermals in Wald überging. Die grabenähnliche Senke vor uns erstreckte sich zu beiden Seiten weiter, als das Auge reichte. Die Sträucher waren halb umgekippt, so, als hätte man ihnen das Erdreich weggeschaufelt. Und genau das war auch geschehen. Wir wußten es, auch ohne uns näher heranzutasten – was lebensgefährlich gewesen wäre. Unmittelbar vor uns stürzte der Boden steil ab, und in der Schlucht, die etwa sechs, sieben Fuß tief war, lauerten, unsichtbar unter dem Dornengestrüpp verborgen, teuflisch spitze Pfähle. Am Grund der Senke befand sich ein sauber ausgeschachteter Abflußkanal – etwa einen Spaten breit –, hinter dem die Böschung zuerst bis auf Dammhöhe anstieg und sich dann stufenweise der ebenen Erde anglich. Und dort, im schwach geneigten Absatz der Berme, wuchsen Bäume. Doch die Fläche war relativ jung aufgeforstet; nicht zu vergleichen mit den mächtigen alten Stämmen, zwischen denen wir uns den ganzen Tag hindurchgekämpft hatten und die gewiß schon seit jener sagenhaften Vorzeit Wind und Wetter trotzten, da Herkules nach Germanien gekommen war.
Wir aber waren hier auf eine andere Sage gestoßen.
Hinter dem Forst erhob sich eine Wehranlage, von der wir über die Baumkronen hinweg nur die Zinnen sehen konnten. Bestimmt führte ein palisadengeschützter Rundgang, unterbrochen von den bekannten quadratischen Wehrtürmen, rings um den Wall. In der Ferne konnte man im Dämmerlicht gerade noch den wuchtigen Umriß eines Festungstores sehen.
Alles war still. Keine Wachen patrouillierten, und keine Lichter flammten auf. Und doch stand hier, gut hundert Meilen von den römischen Provinzen entfernt, ein Römerlager.
XLV
»Ob da jemand drin ist, Falco?«
»Bei allen Göttern, das will ich nicht hoffen!« Ich war nicht in der Stimmung, mit Gefallenen oder deren Geistern Reiseberichte auszutauschen.
Ich setzte mich in Bewegung.
»Gehen wir rein?«
»Nein, wir kehren um!« Ich packte ihn an den Schultern.
»Aber da drin könnten wir doch übernachten …«
»Wir übernachten in unserem Zeltlager!«
In der Nacht haben wir wohl alle wenig geschlafen. Ich jedenfalls lag wach und lauschte auf die Trompetenrufe vom Hades, bis ich schließlich kurz vor Morgengrauen einnickte. Als ich aufstand, war ich verschnupft und an allen Gliedern steif. Kurz nach mir krochen auch die anderen aus den Zelten. Nachdem wir uns mit kaltem Wasser und einem Bissen Brot gestärkt hatten, packten wir zusammen, bestiegen die Pferde und brachen in dichtem Pulk auf, um dem Lager unserer einstigen Kameraden einen Besuch abzustatten. Im grauen Frühlicht sah die verlassene Feste womöglich noch trister aus als am Abend zuvor.
Diese Anlage war mit einem Kastell wie Vetera nicht zu vergleichen, sondern ein reines Feldlager, aber ungewöhnlich groß. Wenn auch wohl nur als Provisorium geplant, vermittelte es in seiner trutzigen Abgeschiedenheit doch ein Gefühl von Dauer. Während keine Spuren von Ansturm und Belagerung zu erkennen waren, hatten Zeit und Natur um so gründlichere Arbeit geleistet. Die Außenwerke waren von Gestrüpp überwuchert, ein paar Türme eingestürzt, und die Palisaden hatte der Wind gefällt. Im Näherkommen sahen wir, daß auch ein Teil der Brustwehr eingefallen war.
Wir bahnten uns einen Weg zum Torhaus. Einer der mächtigen Torflügel war aus den Angeln gerissen. Wir trauten uns nur bis unter den Eingang. Eine Spinne, so groß wie ein Entenei, beobachtete uns argwöhnisch.
Die wildwuchernde
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