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Eisenhand

Eisenhand

Titel: Eisenhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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nicht nur verstehen, sondern wurden selbst von unseren Gefühlen überwältigt.
    Nach der Grabstätte suchten wir trotzdem nicht, ja, wir errichteten nicht einmal einen Altar, wie wir das in Vetera getan hatten. Hier bezeugten wir unsere Ehrfurcht durch Schweigen, ein Schweigen, das allen galt: den Toten und jenen, die es sich zur Pflicht gemacht hatten, ihre Leichen zu bergen. So im Banne der Vergangenheit hat sich wohl jeder insgeheim gefragt, ob – sollten wir in diesem Wald den Tod finden – unsere Lieben daheim jemals unser wahres Schicksal erfahren würden.
    Wir verließen das Lager durchs geborstene Prätorianertor und folgten den stabilen Überbleibseln der einstigen Ausfallstraße. Hier ritt es sich leichter als auf jedem anderen Waldweg, und wir waren in Eile. Nach einigen Meilen hatte die Straße unserer Vorfahren allerdings den Kampf gegen die Natur verloren.
    Wir setzten unseren Weg fort, so gut es ging. Wie die Legionen des Varus zogen auch wir nach Süden. Wie sie damals, so erwartete auch uns jetzt dort das Schicksal. Der einzige Unterschied war: Wir wußten es.
    Die Vergangenheit hielt unser Denken gefangen. Selbst Justinus beteiligte sich jetzt an den Spekulationen: »Wir wissen, daß Varus auf dem Weg ins Winterquartier war – entweder in eine der Festungen am Ufer der Lupia wollte oder gleich bis an den Rhein zurück. Er muß beim Verlassen des Lagers geglaubt haben, das Terrain sei gesichert bis zu ihrer Rückkehr im nächsten Frühling.«
    »Wieso konnten sie nicht den Winter über dort bleiben, Tribun?«
    »Die Versorgungswege waren einfach zu lang. Außerdem werden seine Truppen ihm keine Ruhe gelassen haben, ihnen den Winter in dieser Einöde zu ersparen.« Der kleine Trupp unseres Tribun grinste unwillkürlich, als Justinus so ernsthaft nachdachte.
    »Und wir sind jetzt genau auf dem Weg, den sie damals genommen haben«, fiel Helvetius ein. Mit seiner Liebe zum Drama und zu historischen Spekulationen hatte er sich schon ganz in die Szene eingelebt. »Alle Welt glaubt, sie hätten bereits den Gipfelkamm erreicht, als das Unglück über sie hereinbrach. Aber kann es nicht ebenso gut hier gewesen sein, viel weiter nördlich? Mit Bestimmtheit wissen wir schließlich nur, daß Germanicus sie irgendwo östlich der Ems gefunden hat.«
    »Oh, Zenturio« – je weiter wir uns von dem gespenstisch leeren Lager entfernten, desto mutiger wurden unsere Rekruten –, »Zenturio, werden wir das berühmte Schlachtfeld von damals finden?«
    »Ich glaube«, versetzte Helvetius bedächtig, als habe er dies eben erst ausgetüftelt, »ich glaube, das Schlachtfeld ist hier überall. Darum hatte Germanicus auch solche Mühe, es zu finden. Man kann nicht zwanzigtausend Mann – lauter erfahrene Krieger – mir nichts, dir nichts auf einem Flecken so groß wie ein römischer Hausgarten erschlagen.«
    Ich nickte. »Wir denken, alles wäre schnell gegangen, aber vielleicht haben sich die Gefechte auch hingezogen. Bestimmt sogar. Arminius gelang zwar zunächst ein Überraschungsangriff, bei dem viele unserer Soldaten ihr Leben lassen mußten. Aber nach dem ersten Schock haben die tapferen Legionen sich bestimmt kräftig gewehrt.«
    »Stimmt, Falco! Germanicus’ Funde belegen das. Er ist auf ganze Berge von Skeletten gestoßen, die von Soldaten auf Rückzugsgefechten stammten. Ja, manche hat er sogar in ihrem Lager gefunden, wohin die armen Teufel sich retten konnten, ehe der nachrückende Feind sie massakrierte.«
    »Sie meinen das Lager, das wir gefunden haben?«
    »Schwer zu sagen. Nach so langer Zeit – und den Aufräumungsarbeiten des Germanicus – müßte man tagelang suchen, um Spuren zu finden.«
    »Nach dem ersten Blitzangriff hatten die Legionen also noch einen langen und qualvollen Kampf zu bestehen; es gab ja sogar Überlebende. Arminius hat schließlich Gefangene gemacht: Manche ließ er, um die keltischen Götter versöhnlich zu stimmen, an den höchsten Bäumen aufknüpfen, andere wurden in schauerlichen Fallgruben eingesperrt.« Glücklicherweise hatten wir keine gefunden. »Und einigen wenigen war sogar die Rückkehr in die Heimat vergönnt. Von diesen ist dann freilich der eine oder andere Tropf wieder mit Germanicus hierher gekommen.« Jeder Krieg produziert Masochisten. »Aber für die Kelten gibt es keine geordnete Kapitulation, da zählt nur der endgültige Sieg über den Gegner. Jeder Soldat, der die Flucht ergriff, ist bestimmt erbarmungslos bis in die tiefsten Wälder verfolgt worden.

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