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Eisenkinder

Eisenkinder

Titel: Eisenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Rennefanz
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in der DDR Pflicht, doch mein Vater war ein Einzelgänger, er hasste den Kollektivdruck. Er wollte so wenig Berührungspunkte wie möglich mit dem Staat. Sein Austritt hatte Folgen: Erst kam die Gewerkschaftstante, dann kam der ABV , der Abschnittsbevollmächtigte, eine Art Dorfpolizist, ein Typ, der auf dem Moped in Uniform nach Hause knatterte, nachdem er aus der Kneipe kam. Er saß in unserem Wohnzimmer und redete auf meinen Vater ein: Er schade dem Kollektiv. Doch mein Vater konnte stur sein, und der ABV zog erfolglos wieder ab. Mein Vater wurde nie wieder bedrängt. Meine Eltern konnten nicht verhindern, dass ich die Auseinandersetzung mitbekam. Danach zischte meine Mutter in meine Richtung, dass ich das, was ich hier, in diesem Raum, gehört hatte, auf keinen Fall draußen erzählen durfte. Es gab drinnen und draußen.
    Gleich am Anfang des Schuljahres in Eisenhüttenstadt gab es Ärger. Conny hatte eine führende Position in der FDJ . Dort hatte sie in einer Sitzung einen Witz erzählt. Es war die Zeit, in der viele Witze über das alte Politbüro machten. »Was hat vier Beine und sechzig Zähne? Ein Krokodil. Und was hat sechzig Beine und vier Zähne? Das Politbüro«, sagte
Conny.
    Es war kurz still, einige grinsten, dann ging der Sitzungsleiter zum nächsten Thema über. Am nächsten Tag musste Conny zu Frau Koschke, der gefürchteten Direktorin. Sie nannte Conny eine Staatsfeindin und drohte ihr damit, dass sie von der Schule fliegen würde. Sie sei auf dem falschen Weg und solle Selbstkritik üben, schärfte ihr die Lehrerin ein. Das Gespräch verschlug Conny für einige Tage die Sprache.
    Sie erinnert sich heute, viele Jahre später, an die Wirkung des Gesprächs:
    »Das Allerschlimmste an all dem war für mich, dass ich mich zunächst nicht traute, zu Hause davon zu erzählen, weil ich mir und meinem losen Mundwerk die Schuld an meiner Misere gab. Auch beschäftigte mich lange, dass die Direktorin es sogar geschafft hatte, dass ich mich vor meinen Eltern schämte. Mein Elternhaus war ein offenes und diskutierfreudiges; es bestand eigentlich keine Veranlassung, diesen Schlag in die Magengrube vor meinen Eltern geheim zu halten. Tage später erst erzählte ich am Abendbrottisch davon, als ich glaubte, die Wogen hätten sich etwas geglättet. Meine Eltern waren hell empört von den Anschuldigungen, dem Druck und der Einschüchterung, denen ich ausgesetzt gewesen war und gleichzeitig auch davon, dass ich erst so spät alles erzählte. Ihre unumschränkte und sofortige Unterstützung vertrieb meine allerletzten Zweifel daran, dass ich Opfer und nicht Täter war. Das gab mir Halt und Zuversicht zurück«, schreibt mir Conny in einem Brief.
    Die Geschichte, dass sie wegen eines Witzes von der Schule fliegen sollte, verbreitete sich schnell und sorgte für Unruhe. Ich bekam noch mehr Angst, wich Connys Blick aus. Ich hatte Angst, dass mein Pflichtbewusstsein, mein Anpassungsvermögen irgendwann nicht mehr reichen würden.
    Conny war schnell über den Vorfall hinweg. Die Direktorin, Frau Koschke, wollte sie bloß verwarnen, ein Exempel statuieren, damit hatte sie uns anderen schon genug Angst eingejagt. Zur Feier des 40. Geburtstags der Republik am 7. Oktober 1989 durfte Conny mit einer Delegation von FDJ lern nach Berlin fahren. Das Mädchen, das eben noch als Staatsfeindin galt, marschierte am 7. Oktober fähnchenschwenkend an der Tribüne mit Erich Honecker und Michail Gorbatschow vorbei.
    So war die Zeit, voller Widersprüche.
    Nach außen hin verbargen die Lehrer im Herbst 1989 ihre Zweifel, im Lehrerzimmer redeten sie schon offener. Lehrer an der EOS galten als Autoritäten, als Vorbilder und Repräsentanten des Staates, nur die Überzeugtesten durften hier unterrichten.
    Das Verbot der Zeitschrift Sputnik hatte viele aufgeschreckt. Die deutschsprachige Ausgabe des Magazins hatte über Veränderungen berichtet, die Michail Gorbatschow in der Sowjetunion bewirkt hatte, die DDR -Bürger lasen darin auch erstmals über die Verbrechen Stalins. 1988 verbot die SED die Auslieferung des Magazins. Unter den Lehrern in Eisenhüttenstadt schlug die Nachricht ein wie eine Bombe. Etliche Lehrer waren empört darüber. Etwas geriet in Bewegung.
    Seit Mitte der achtziger Jahre durfte man in Ausnahmefällen zu runden Geburtstagen von Verwandten reisen. Eigentlich gehörte es sich nicht, als EOS -Lehrer in den Westen zu fahren. Die Parteisekretärin an der Schule sah das nicht gern, sie drohte, sprach von Verrat, aber

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