Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
wurde der gedörrte Fisch mit gleichmäßigen Schlägen platt und weich geklopft. Kleine Stückchen fielen dabei auf den Boden. Ezra schaute nicht von seiner Arbeit auf. Er bemerkte Erlendur nicht, der eine ganze Weile in der Tür stehen blieb und die Klopferei verfolgte. Ab und zu wischte sich Ezra mit dem Handrücken einen Tropfen unter seiner Nase ab, der sich sofort wieder neu bildete. Seine Fischerfäustlinge hatten zwei Daumen, und auf dem Kopf saß eine übertrieben große Ledermütze mit Ohrenklappen, die seine Wangen bedeckten. Unter seiner braunen Latzhose trug er einen Islandpullover. Ezra war unrasiert, und der struppige Bart gab eine dicke Unterlippe mit einer Narbe von einer alten Verletzung frei. Die Augenbrauen über den kleinen, feuchten Augen standen buschig ab. Ezra brummte etwas Unverständliches vor sich hin. Er war wohl auch früher nie ein schöner Mann gewesen, und nun im Alter war sein Gesicht mit dem langen Kinn und der kräftigen, großen Nase zudem noch wettergegerbt und faltig. Man sah ihm aber immer noch an, dass er einmal ein stattlicher Mann gewesen war.
Endlich ließ er den Hammer eine Weile ruhen, blickte hoch und sah Erlendur in der Tür stehen.
»Willst du Trockenfisch bei mir kaufen?«, fragte er mit alter heiserer Stimme.
»Hast du denn welchen übrig?«, fragte Erlendur, der sich ins neunzehnte Jahrhundert zurückversetzt fühlte.
»Ein bisschen habe ich immer auf Lager«, sagte Ezra. »Das meiste geht unten in den Laden, aber bei mir bekommt man ihn billiger.«
»Scheint mir ein ordentlicher Trockenfisch zu sein«, sagte Erlendur und trat einen Schritt näher.
»Und ob«, antwortete Ezra, der plötzlich etwas lebendiger zu werden schien. »Besseren als den kriegst du nirgends. Jedenfalls nicht hier in den Ostfjorden.«
»Du verwendest immer noch einen Hammer, um ihn durchzuklopfen?«
»Ich verarbeite ja nicht viel«, erklärte Ezra. »Es lohnt sich nicht, dafür eine Maschine anzuschaffen. Ich bin sowieso bald hinüber. Im Grunde sollte ich schon lange tot sein.«
Die beiden einigten sich auf Menge und Preis und unterhielten sich eine Weile über das Wetter, den Fischfang, den Staudamm und den Bau der Aluminiumhütte, über die Ezra aber offensichtlich ungern redete.
»Von mir aus können die alles kaputt machen«, sagte er.
Hrund hatte Erlendur erzählt, dass Ezra sein Leben lang ein Einzelgänger gewesen war, er hatte nie geheiratet und ihres Wissens auch keine Kinder. Selbst die ältesten Leute konnten sich nicht erinnern, wie lange er schon im Ort lebte. Er hatte sich nie viel um andere gekümmert und nur ganz wenige sich um ihn. Er hatte an Land gearbeitet, war aber auch zum Fischen ausgefahren, meistens allein auf seinem Boot. Seine Kräfte hatten in den letzten Jahren nachgelassen, er ging auf die neunzig zu. Wohlmeinende Leute versuchten immer wieder, ihn im Altersheim unterzubringen, hatte Hrund gesagt, aber davon wollte er absolut nichts hören. Ezra sprach mit allen ganz unbefangen über seinen nahenden Tod, und immer betonte er, dass er sich darauf freue, sich seinem Schicksal zu stellen. Jahrelang hatte er alles Mögliche mit der Begründung abgelehnt, dass er sowieso schon mit einem Bein im Grabe stünde, dass das alles sowieso nur Zeitverschwendung sei. Hrund dagegen hielt sein Verhalten für die merkwürdigste Art von Faulheit, von der sie jemals gehört hatte.
Während Ezra weiter auf den Fisch eindrosch, brachte Erlendur das Gespräch auf gefährliche Unwetter und Menschen in Bergnot.
»Ich habe so einige alte Geschichten über Menschen gehört, die hier in den Bergen bei Unwettern das Leben verloren haben«, sagte er.
»Ach, wirklich«, sagte Ezra. »Bist du Historiker?«
»Nein, ich interessiere mich einfach dafür«, entgegnete Erlendur. »Zum Beispiel habe ich etwas über britische Soldaten gelesen, die über die Irrlichtscharte wollten. Das ist wohl mehr als sechzig Jahre her?«
»Daran kann ich mich gut erinnern«, sagte Ezra. »Einige von ihnen habe ich sogar kennengelernt, alles unerschrockene junge Männer, die sich bei einem schlimmen Unwetter verirrt hatten. Einige kamen dabei um, aber sie wurden alle gefunden, viele lebendig, einige tot. Das ist keineswegs selbstverständlich, kann ich dir sagen.«
»Nein«, entgegnete Erlendur.
Ezra wischte sich mit dem Handschuh unter der Nase lang und fragte Erlendur, ob er einen Kaffee wolle, während sie den Fisch abrechneten. Erlendur nahm das Angebot an, und sie gingen zusammen hinauf zum
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