Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
Zucker aus der Küche und ein Kissen vom Sofa, das er ihr unter den Kopf legte. Dann ging er zum Fenster und hielt Ausschau nach dem Krankenwagen. Seiner Meinung nach konnte es nicht allzu lange dauern. Es waren so viele Menschen auf dieser Baustelle, da musste doch auch ein Krankenwagen vor Ort sein, auch wenn sich das Bezirkskrankenhaus in Neskaupstaður befand.
Hrund lag immer noch in derselben Stellung, als er zurückkam. Sie bat ihn, ihr hochzuhelfen. Er wusste nicht so recht, was er tun sollte, vielleicht war es besser, wenn sie still liegen blieb. Schließlich half er ihr aber doch auf die Beine, und sie setzte sich auf einen Stuhl in der Küche.
»Ich hätte es wissen müssen. Zuerst meint man, dass eine Grippe im Anzug ist, aber dann kommt es schlimmer. Schon bei der geringsten Verletzung artet das bei mir in eine Blutvergiftung aus.«
»Der Krankenwagen kommt sicher bald. Kann ich bis dahin noch etwas für dich tun?«
»Wieso kommst du eigentlich immer hierher?«, fragte sie leise und kurzatmig. Sie schien sehr geschwächt zu sein.
»Vielleicht solltest du dich lieber hinlegen, bis sie kommen«, schlug Erlendur vor.
»Sag du mir, was du herausgefunden hast. Oder hast du etwa deine Nachforschungen eingestellt?«
»Nein«, gab Erlendur zu.
»Nein, das hätte ich auch nicht von dir gedacht. Also, was hast du herausgefunden?«
»Gibt es irgendjemand hier im Ort, den ich verständigen sollte?«, fragte Erlendur. »Der Krankenwagen muss gleich da sein. Irgendwelche Verwandten vielleicht?«
»Die sind alle von hier fort.«
»Freunde?«
»Dazu ist noch genug Zeit genug. Sag mir lieber, was du in Erfahrung gebracht hast.«
Scheinwerfer erhellten das Haus, und blaues Licht zuckte über die Wände. Der Krankenwagen war eingetroffen. Erlendur ging zur Tür, um die Leute in Empfang zu nehmen, zwei Sanitäter in dicken Overalls mit phosphoreszierenden Markierungen folgten ihm in die Küche.
»Mal wieder der Zucker?«, fragte einer der beiden Hrund.
»Ach, ich mach euch immer nur Ärger«, stöhnte sie und versuchte aufzustehen.
»Ganz ruhig«, sagte der Mann. »Hast du dich regelmäßig gespritzt?«
»Ich glaube, ich habe da eine Entzündung im Bein. Ich hab mich vorgestern verletzt, als ich gegen die Backofentür gestoßen bin, und dann ist es immer schlimmer geworden. Ich kam erst wieder zu mir, als der da mich gefunden hat«, sagte Hrund und zeigte auf Erlendur.
Die Männer holten die Trage aus dem Wagen, legten Hrund darauf und transportierten sie zum Krankenwagen. Es hatte aufgehört zu schneien, und sie blickte hoch zum sternenklaren Himmel, bevor die Bahre in den Wagen geschoben wurde. Erlendur stand daneben und sah zu, wie die Sanitäter die Hecktüren schlossen, einstiegen und losfuhren. Der Krankenwagen war noch nicht weit gefahren, als Erlendur sah, dass die Rücklichter angingen. Der Wagen setzte zurück. Einer der beiden Männer stieg aus und kam auf ihn zu.
»Darf ich fragen, wer du bist?«
»Spielt das irgendeine Rolle?«, fragte Erlendur.
»Sie fragt, ob du mit ihr kommen würdest.«
»Wirklich?«
»Platz ist genug«, sagte der Mann.
»Na schön«, sagte Erlendur. Er kletterte hinten in den Krankenwagen und setzte sich neben Hrund, die anscheinend eingeschlummert war.
Als das Auto losfuhr, öffnete sie die Augen und sah ihn lange und forschend an.
»Wieso kannst du es nicht bleiben lassen?«, fragte sie.
»Was bleiben lassen?«
»Geister aufzuwecken, die dich nichts angehen.«
»Möchtest du, dass ich damit aufhöre?«, fragte Erlendur.
Hrund schwieg eine Weile.
»Sobald ich im Krankenhaus bin, verpassen sie mir Antibiotika«, sagte sie schließlich. »Und zwar in so heftiger Dosierung, dass sämtliche Bakterien im Körper gekillt werden. So kriegen sie das in den Griff, sonst würde ich sterben. Eigentlich könnte es mir ja auch egal sein. Ich bin alt und verbraucht, und außerdem habe ich diese Krankheit. Ich wüsste nicht, wer mir nachtrauern würde. Trotzdem ist es keine angenehme Vorstellung. Nicht für mich. Selbst wenn man so alt und so krank ist – das Leben ist trotzdem irgendwie so, dass man sich nicht davon trennen möchte. Höchst ungern.«
Der Krankenwagen geriet heftig ins Schleudern und hopste unsanft über eine Schneewehe, die quer über der Straße lag. Erlendur verlor das Gleichgewicht, und seinem Gefühl nach fehlte nicht viel, und er wäre zur Hintertür hinauskatapultiert worden.
»Entschuldigt bitte«, rief der Fahrer nach hinten, »die Straße ist
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